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20150316Interview-Kempf-VDS

Was ist das hier?


Am ersten öffentlichen Tag der CeBIT 2015, am 16.3.2015, haben wir den Präsidenten des Branchenverbands BITKOM, Herrn Dieter Kempf zur zu dieser Zeit aktuellen Diskussion um einen nationalen Alleingang Deutschlands für eine neue Vorratsdatenspeicherung-Gesetzgebung.

Herr Kempf hatte sich am Vorabend bei der Eröffnung der Messe für eine "ausgewogene Vorratsdatenspeicherung" ausgesprochen.

Transkription des Interviews


freiheitsfoo: Herr Kempf, auf der Eröffnung gestern haben Sie ja mitgeteilt, dass aus ihrer Sicht eine Vorratsdatenspeicherung light - nenne ich es mal - möglich wäre, eine Vorratsdatenspeicherung mit Augenmaß, in Augenmaß. Und sie sagen ja auch vor einem Jahr, als der EuGH entsprechend geurteilt hat, bekannt gegeben, sie werden sich nach dem richten, was in Karlsruhe und was in Straßburg geurteilt worden ist. Nun hat Straßburg, hat der EuGH natürlich auch gesagt, erstens anlaßlos, d.h. massenhaft flächendeckend, geht nicht und zweitens Berufsgruppen, die Berufsgeheimnisträger sind, müssen ausgenommen werden. Wenn sie sagen, dass sie das berücksichtigen wollen, wie stellen sie sich das technisch im Detail vor?

Kempf: Ich fange jetzt mal mit den Berufsgruppen, die Berufsgeheimnisträger sind, an. Man könnte dieses Problem ganz zuverlässig lösen, dass man Pseudonymisierung und Anonymisierung einführt. Bei der Pseudonymisierung hätten wir den Vorteil, dass wir im Fall der Analysenotwendigkeit, was immer das auch sein mag, rückgreifen könnte, d.h. im Einzelfall die Anonymität des Berufsgeheimnisträgers aufhebt - denken sie an Steuerstrafverfahren oder was auch immer das sein mag. Ob wir das gesellschaftlich wollen oder nicht, das ist genau zu diskutieren. Aber technisch ist das überhaupt kein Problem. Die Anonymisierung selbst ermöglicht ja keine Rückpersonifizierung. Das heißt wir müssen diese unterschiedlichen Methoden entsprechend der konkurrierenden Schutzziele richtig einsetzen.

freiheitsfoo: Bedeutet das, wenn ich das richtig verstehe, ähnlich wie gehabt eine - ich nenne das mal ein bisschen böshaft - massenhafte Erfassung mit nachträglicher Bearbeitung der Daten, will sagen entweder Anonymisierung, Pseudonymisierung solcher betroffener Berufsgruppen?

Kempf: Ich will ganz offen sagen, dass ich gegen eine Massenerfassung aber mit überschaubarer Speicherdauer von zuverlässig anonymisierten Daten gar kein Problem hätte. Denken sie an das Thema Verkehrslenkung. Das ist eigentlich völlig wurscht. Die Daten müssen nie personifizierbar sein. Zur Verkehrslenkung brauche ich keine personifizierbaren Daten, ich brauche nur die Daten des fließenden Verkehrs, aber nicht wer die diese Fahrzeuge bewegt.

freiheitsfoo: Und der Einwand, dass bestimmte Menschen, mögen das auch nicht viel sein, alleine aufgrund der Tatsache, dass die Daten flächendeckend und vollständig erfasst werden, in ihren Grund- und Freiheitsrechten eingeschränkt fühlen oder einschränken lassen?

Kempf: Ja genau dieses Fühlen müssen wir mal diskutieren. Das Fühlen ist ja immer eine Frage konkurrierender Schutzziele. Also ich habe manchmal das Gefühl, dass die gleichen, die beim NSA-Skandal schier aus dem Häuschen waren - im übrigen ich auch - bei der Frage des ISIS-Terrors nach Überwachung rufen. Und da müssen wir uns irgendwann mal entscheiden, was wir denn wirklich wollen. Wir werden bei konkurrierenden Schutzzielen uns politisch gesellschaftlich entscheiden müssen, was uns denn wichtiger ist. Das können wir nicht immer situativ entscheiden, sondern da werden wir Beispielszenarien bilden müssen. Und für die brauchen wir dann die richtige Lösung. Aber wenn z.B. wie beim IT-Gipfel im Hamburg, der Chef der Charite sagt, in Deutschland geht Datenschutz über Patientenschutz, dann kann uns dies als Bürger dieses Landes nicht wirklich gleichgültig sein - der Mann weiß wirklich, wovon er spricht.

freiheitsfoo: Aber mit Bezug auf die EU-Grundrechte hat ja das EuGH auch geurteilt, dass eine anlasslose ohne auch nur einen bestimmten Anlaß bedingte Erfassung aller Menschen oder TK-Metadaten aller Leute nicht zulässig sei - steht in, ich glaube Randnummer 54 ... 56 im Urteil so drin. Wie können mir das mit dem bisher Gesagten vereinbaren?

Kempf: Ich maße mir nicht an, eine EuGH-Entscheidung zu kritisieren, aber auch das Formulieren von Grundrechten oder Interpretieren von Grundrechten ist ein Stück Geist der eigenen Zeit. Und vielleicht muss man damit auch ein bisschen drüber nachdenken. Ich gebe ihnen ein Beispiel aus Deutschland. Der Begriff der Datensparsamkeit ist ein Stück Geist der eigenen Zeit, nämlich als es ums Volkszählungsurteil ging. Ich glaube, dass sich die Zeit so weiterentwickelt hat, dass der Grundsatz der Datensparsamkeit heute der falsche Grundsatz ist, um aus der Datenvielfalt, die wir haben, die richtigen Erkenntnisse zu ziehen bei gleichzeitig höchstmöglichen Schutz personenbezogener Daten. Das ist technisch nicht unmöglich - es braucht einfach ein bisschen mehr Intelligenz als einfach nur Daten einzusparen.

freiheitsfoo: Und eine Äußerung von Herrn Spiros Simitis, anerkannter Datenschutzexperte Deutschlands, einer der ersten Bundesdatenschutzbeauftragten, der mal vor wenigen Jahren gesagt hat: Demokratie zeichnet sich aus durch Informationsverzicht - der also den Begriff der Datensparsamkeit ausdrücklich noch einmal betont hat und anders als sie sagt, das ist nicht irgendwie Teil alter Ideen, alter Konstitutionen sondern immanent für Datenschutz, das würden nicht teilen?

Kempf: Also ich halte das für ein schönes Schlagwort aber inhaltlich schlichtweg für falsch.

freiheitsfoo: Gut. Vielen Dank.

Audio-Datei


Leider in schlechter Tonqualität, aber immerhin verständlich hier abrufbar.

Analyse


  • Herr Kempf befürwortet eine weiterhin vollumfängliche Erfassung und Speicherung der TK-Verbindungsdaten aller Menschen in diesem Land.
  • Die Erläuterung der "Lösung" des Problems der verlangten Herausnahme der Speicherung der Daten von Berufsgeheimnisträgern meint er mittels Anonymisierung oder Pseudonymisierung vorweisen zu können. Ob nun das eine oder das andere, wird aus seinen Erläuterungen nicht deutlich. Auch der Vergleich mit der Verkehrserfassung ermöglicht keine sinnvolle Gegenüberstellung zur Frage, wie eine Vorratsdatenspeicherung grundrechtskonform zu erledigen sei. Es ist ein ungeeigneter Vergleich: Wenn Daten nicht personifizierbar sind, dann ist deren Erfassung (im Sinne der Idee der Vorratsdatenspeicherung) unnütz.
  • Diese "Lösung" bedeutet, dass entweder die Daten aller Menschen (auch die der Berufsgeheimnisträger) erfasst und gespeichert werden sollen oder nach der Erfassung herausgefiltert werden sollen. So oder so erfordert dieses Prinzip die Anlegung, das Zurverfügungstellung und den Abgleich mit einer Datenbank, die eben alle Berufsgeheimnisträger beinhaltet und erfordert zudem die Annahme der technischen Möglichkeit, dass die TK-Verbindungsdaten diesen Personen auch zuzuordnen seien. Alles menschenrechtlich ziemlich heikel.
  • Die weitere Frage, ob eine technisch tatsächlich sichere Anonymisierung von ehemals personenbezogenen Daten überhaupt möglich ist, wird gar nicht in den Raum gestellt.
  • Das Prinzip der Datensparsamkeit wird als unmodern und unzeitgemäß verurteilt und von Herrn Kempf einfach verworfen.
  • Die Frage nach der Beeinträchtigung bzw. Beschneidung von Grund- und Freiheitsrechten alleine schon durch die Tatsache der vollführten, massenhaften, flächendeckenden und anlasslosen Erfassung und Speicherung von TK-Verbindungsdaten einer ganzen Bevölkerung, wird von Herrn Kempf mit Gefühlsduselei hinweggewischt: "Fühlen sei eine Frage konkurrierender Schutzziele." o_O Es missachtet damit die Auswirkung der Vorratsdatenspeicherung auf viele Menschen und lastet die Grundrechtseinschränkung diesen selber an, macht sie selber dafür verantwortlich.
  • Herr Kempf spricht in der weiteren Beantwortung der Frage dagegen selber davon, "manchmal ein bestimmtes Gefühl zu haben" ... :)
  • Bestimmte Teile des EuGH-Urteils (wie das Verbot anlassloser Speicherung von TK-Verbindungsdaten) werden - so erweckt Herr Kempf den Eindruck - offen übergangen und ausgeblendet. Nichts anderes lässt die Äußerung zu, dass "das Formulieren oder Interpretieren von Grundrechten ein Stück Geist der eigenen Zeit" sei. Es ist eine fragwürdige Einstellung, wenn man Menschenrechte auf so einfache Art und Weise einfach zur Seite meint wischen zu können ... o_O
  • Die Äußerung eines Arztes, der den populistisch-pauschalen Slogan geprägt hat, dass "Datenschutz über Patientenschutz" ginge, führt Herr Kempf als Scheinargument für die Vorratsdatenspeicherung und für aus seiner Sicht offenbar übertriebenen Schutz der Privatsphäre von Menschen (als Ausprägung ihrer Würde, wie im Grundgesetz prominent zuvorderst verankert) an.

Kategorie(n): Vorratsdatenspeicherung

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Zuletzt geändert am 16.03.2015 20:57 Uhr