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20150410Brief-an-nds-IM-Pistorius-zu-seiner-Vorratsdatenspeicherungs-Bewerbung

Worum geht es?


Ende März 2015 hat der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) in einem Bericht der "Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ)" für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung auf aus unserer Sicht tendentiell populistischer Art die Werbetrommel gerührt.

Nicht nur ist uns unklar, wie eine solche neue Vorratsdatenspeicherung mit den Urteilen aus Karlsruhe (BVerfG 2010) und Luxemburg (EuGH 2014) in Einklang zu bringen sein soll, auch widerspricht das Auftreten des Herrn Pistorius dem rot-grünen Koalitionsvertrag.

Deswegen haben wir einen Brief an Herrn Pistorius geschrieben und dort u.a. anhand einer Analogie der Vorratsdatenspeicherung mit der anlasslosen und allumfassenden "Begegnungserfassung und -überwachung" von Menschen im "wirklichen" Leben bzw. im öffentlichen Raum versucht, unsere Bedenken zur VDS klarzumachen.


10.4.2015 - Ein Brief an den nds. Innenminister Boris Pistorius


Sehr geehrter Herr Pistorius,



in einem Bericht der "Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ)" vom 22.3.2015 werben Sie für die Wieder-Einführung einer Vorratsdatenspeicherung, also wie im Kontext der allgemeinen Diskussion verstanden, um eine gesetzliche Vorschrift zur staatlichen Verpflichtung der anlaßlosen Erfassung und zeitlich beschränkten Speicherung sämtlicher Telekommunikations-Verbindungsdaten aller in Deutschland lebenden bzw. miteinander kommunzierenden Menschen.

In dem Beitrag werden Sie in einem Absatz wie folgt zitiert:

 „Ohne die Möglichkeiten einer Vorratsdatenspeicherung sind die Ermittlungsbehörden praktisch blind,
 wenn die Kommunikation der Täter und die Straftatbegehung überwiegend oder ausschließlich über
 das Netz und mit mobilen Kommunikationsmitteln stattgefunden hat“, sagte Pistorius. Mehrere
 Mordfälle vergangener Jahre in Deutschland hätten durch Verbindungsdaten überhaupt erst oder
 wesentlich schneller gelöst werden können. „Es ist absurd, dass wir das nicht können, obwohl
 die technischen Möglichkeiten gegeben sind.“"

Dazu haben wir von der Initiative freiheitsfoo neben zwei Anmerkungen zwei Fragen an Sie und möchten Sie angesichts der aktuellen öffentlichen Diskussion um eine kurzfristige Beantwortung bitten.


Unsere zwei Anmerkungen:


A1.) Zum ersten Satz aus dem NOZ-Artikel:

 „Ohne die Möglichkeiten einer Vorratsdatenspeicherung sind die Ermittlungsbehörden praktisch blind,
 wenn die Kommunikation der Täter und die Straftatbegehung überwiegend oder ausschließlich über das
 Netz und mit mobilen Kommunikationsmitteln stattgefunden hat.“

Wir sind der Meinung, dass man diese Behauptung auf keinen Fall so stehen lassen kann.

Denn immerhin sind Polizeien keinesfalls "praktisch blind", wenn sie anhand von z.B. tatsachengestützten Verdächtigungen oder aufgrund konkreter Hinweise Ermittlungen anstellen und in diesem Fall nach derzeitiger Rechtslage durchaus in der Lage sind, durchaus sehr umfangreiche anlass- und einzelfallbezogene TK-Überwachungsmaßnahmen im Vorfeld durchzuführen.

Was Sie sich entsprechend Ihres Zitates wünschen ist nichts anderes als eine anlasslose Überwachung aller Telekommunikationsverbindungen, ausgedehnt auf alle in diesem Land lebenden Menschen!

Übertragen auf das Handeln der Menschen im "wirklichen" Leben bedeutet Ihre Forderung nichts anderes, als dass vollumfänglich registriert und festgehalten werden solle, wer sich wann mit wem trifft, mit wem ein Gespräch führt oder andersweitig miteinander kommuniziert. Sie verlangen weiterhin, dass notiert werde, wo sich das alles zugetragen hat.

Werden bei der Vorratsdatenspeicherung Internet-Anbieter und soziale Netzwerke dazu verpflichtet, sämtliche Telekommunikations-Verbindungsdaten zu erfassen und zu speichern, so bedeutet das im Analogie-Modell nichts anderes, als würde man allen Cafe-Betreibern, Kaufhaus-Besitzern und eigentlich jedem im öffentlichen Raum sich bewegenden Mit-Bürger vorschreiben wollen, ständig Ausschau zu halten, wann und wo sich Menschen begegnen und um welche Personen es sich dabei handelt und all diese Informationen lückenlos zu notieren.

Dass einem hierbei Erinnerungen an die Stasi oder an andere totalitäre Regimes mit ihren Überwachungsapparaten kommen, darf nicht verwundern.

Herr Pistorius - so eine Vollprotokollierung unseres öffentlichen Handelns würden Sie hoffentlich nicht befürworten wollen! Wo ist denn aber der Unterschied zur Vorratsdatenspeicherung innerhalb dieses Analogie-Modells?

Die Möglichkeit, sich grundsätzlich erst einmal unüberwacht zu begegnen bzw. Gedanken und Meinungen auszutauschen, ohne dabei die Sorge wegen einer staatlich verordneten Registrierung der Begegnung mit anderen Menschen zu haben, ist ein Grundpfeiler freier, demokratischer Gesellschaften.

Mit der Einführung einer Vorratsdatenspeicherung zersetzen Sie dieses Fundament bezüglich aller elektronisch geführter Kommunikation und Begegnungen ... und gerade die gewinnt immer mehr an Bedeutung bzw. wird praktisch unausweichlich.


A2.) Dann noch eine Kommentierung des letzten Satzes im von uns zitierten Ausschnitt des NOZ-Berichts:

 „Es ist absurd, dass wir das nicht können, obwohl die technischen Möglichkeiten gegeben sind.“

Das ist kein akzeptables Argument für eine sachbezogene öffentliche Debatte, denn Sie erwecken hiermit den Eindruck, dass alles, was an Überwachungs- und Datenerfassungsmaßnahmen "technisch machbar" sei, auch zu "können" sein müsse. Ganz außer acht lassen Sie dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Wir finden es nicht richtig, auf so eine Art öffentlich Stimmung zu machen.


Unsere beiden Fragen:


F1.) In der Koalitionsvereinbarung der derzeitigen rot-grünen niedersächsischen Landesregierung heißt es auf Seite 80:

 "Die rot-grüne Koalition wird sich auf Europa- und Bundesebene, im Bundesrat und 
 in der Innenministerkonferenz, gegen die derzeit diskutierten Varianten der 
 Vorratsdatenspeicherung einsetzen. Sie hält dieses Verfahren für einen 
 hochproblematischen Eingriff in die Grundrechte."

Wie können Sie diese Vereinbarung mit Ihren Verlautbarungen vom 22.3.2015 in Einklang bringen? Ist Ihr Vorstoß innerhalb der rot-grünen Landesregierung Niedersachsens abgesprochen gewesen?


F2.) Im Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Nichtigerklärung der ehemaligen EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung heißt es in den Randnummern 51, 58 und 59:

 "Zur Erforderlichkeit der durch die Richtlinie 2006/24 vorgeschriebenen Vorratsspeicherung
 der Daten ist festzustellen, dass zwar die Bekämpfung schwerer Kriminalität, insbesondere
 der organisierten Kriminalität und des Terrorismus, von größter Bedeutung für die Gewährleistung
 der öffentlichen Sicherheit ist und dass ihre Wirksamkeit in hohem Maß von der Nutzung moderner
 Ermittlungstechniken abhängen kann. Eine solche dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung kann jedoch,
 so grundlegend sie auch sein mag, für sich genommen die Erforderlichkeit einer
 Speicherungsmaßnahme – wie sie die Richtlinie 2006/24 vorsieht – für die Kriminalitätsbekämpfung
 nicht rechtfertigen. 

 (...)

 Die Richtlinie 2006/24 betrifft nämlich zum einen in umfassender Weise alle Personen, die
 elektronische Kommunikationsdienste nutzen, ohne dass sich jedoch die Personen, deren Daten auf
 Vorrat gespeichert werden, auch nur mittelbar in einer Lage befinden, die Anlass zur
 Strafverfolgung geben könnte. Sie gilt also auch für Personen, bei denen keinerlei Anhaltspunkt
 dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit
 schweren Straftaten stehen könnte. Zudem sieht sie keinerlei Ausnahme vor, so dass sie auch für
 Personen gilt, deren Kommunikationsvorgänge nach den nationalen Rechtsvorschriften dem
 Berufsgeheimnis unterliegen. 

 Zum anderen soll die Richtlinie zwar zur Bekämpfung schwerer Kriminalität beitragen, verlangt
 aber keinen Zusammenhang zwischen den Daten, deren Vorratsspeicherung vorgesehen ist, und einer
 Bedrohung der öffentlichen Sicherheit; insbesondere beschränkt sie die Vorratsspeicherung weder
 auf die Daten eines bestimmten Zeitraums und/oder eines bestimmten geografischen Gebiets und/oder
 eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt
 sein könnte, noch auf Personen, deren auf Vorrat gespeicherte Daten aus anderen Gründen zur
 Verhütung, Feststellung oder Verfolgung schwerer Straftaten beitragen könnten."

Bitte erläutern Sie uns, wie Sie angesichts dieser Bewertung durch das höchste EU-europäische Gericht an dem Ziel einer erneuten Vorratsdatenspeicherungs-Gesetzgebung festhalten wollen.

Für den Fall, dass Sie nicht von so einer anlasslosen und allgemeinen Vorratsdatenspeicherung von TK-Verbindungsdaten meinen gesprochen zu haben:

Wie genau (wir bitten um diskussionsfähige Details!) meinen Sie eine andere Form von Vorratsdatenspeicherung durchführen zu können?


Viele gute Grüße von den Menschen von freiheitsfoo.


13.5.2015 Post aus dem Büro von Herrn Pistorius


Wir erhalten den folgenden Brief aus dem Innenministerium:

Subjektiv zusammengefasst:

  • Was im Koalitionsvertrag den Eindruck einer klaren Positionierung machte, wird nun mittels rhetorischer bzw. sprachlicher Hintertür-Ausnutzung ganz anders interpretiert, um einer neuen Vorratsdatenspeicherung für Deutschland nicht im Wege zu stehen. Es bleibt spannend, wie sich die "Grünen" hierzu positionieren und durchsetzen können oder eben nicht.
  • Die detaillierte Frage nach der Einhaltung der Kritierien des EuGH wird nicht umfassend gewürdigt. Der Forderung, dass generell keine anlasslose und massenhafte Speicherung von TK-Verbindungsdaten zulässig sein darf, begegnet man inhaltlich nicht.

Kategorie(n): Vorratsdatenspeicherung

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Zuletzt geändert am 16.05.2015 22:42 Uhr