Aktuelle Änderungen - Suchen:

Wichtige Seiten

Hilfestellungen

Externe Links

Alle Inhalte dieses Wikis, soweit nicht anders angegeben, unter Creative Commons CC-BY-SA

DNA-Analyse

Bundesrat-Initiativen 2017


10.2.2017 - 953. BR-Sitzung - TOP 57


TOP 57: 796/16 Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens

Grundlage: BR-Drucksache 796/16: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2016/0701-0800/796-16.pdf?__blob=publicationFile&v=1

Auszüge aus der "Grunddrucksache" 796/16:

Problem und Ziel: (...) Der Erreichung des Ziels, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, dienen die vorliegenden Gesetzgebungsvorschläge zur Effektivierung und Steigerung der Praxistauglichkeit des Strafverfahrens. Lösung: (...) Der Erreichung des Ziels, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, dienen die vorliegenden Gesetzgebungsvorschläge zur Effektivierung und Steigerung der Praxistauglichkeit des Strafverfahrens.

Und weiter:

Um die Erfassung des DNA-Beinahetreffers bei der DNA-Reihenuntersuchung zu ermöglichen, werden entsprechende Anpassungen der §§ 81e, 81h StPO vorgeschlagen. So soll sichergestellt werden, dass aus dem Abgleich der DNA-Identifizierungsmuster künftig auch solche Erkenntnisse zur Erforschung des Sachverhalts verwertet werden dürfen, die auf ein nahes Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Spurenverursacher und dem Probengeber hindeuten. Der Probengeber soll zuvor hinreichend klar darüber belehrt werden, dass bei einem Ähnlichkeitstreffer auch Verwandte in Verdacht geraten können.

Und auch:

§ 81h StPO enthält Regelungen zur sogenannten forensischen Reihenuntersuchung und bestimmt, dass die Ermittlung von DNA-Identifizierungsmustern und ihr Abgleich mit dem Spurenmaterial zulässig ist, soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob das Spurenmaterial von den Teilnehmern der DNA-Reihenuntersuchung stammt.
Ergibt der Abgleich keine umfassende, sondern nur eine teilweise Übereinstimmung zwischen Teilnehmer und Spur (sogenannte Beinahetreffer), deutet dies auf eine Verwandtschaft zwischen dem Teilnehmer und dem Spurenverursacher hin. Diese Information darf aber, wie der BGH mit Urteil vom 20. Dezember 2012 (Az. 3 StR 117/12, BGHSt 58, 84 ff. (Rn. 20 ff.)) entschieden hat, entsprechend dem Wortlaut des § 81h StPO weder gewonnen noch für entsprechende Ermittlungen im verwandtschaftlichen Umfeld des Teilnehmers verwertet werden. Dies erschwert die Ermittlungen bei Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung und kann die Aufklärung dieser Verbrechen sogar verhindern.
Das Bundesverfassungsgericht hat die gegen das Urteil des BGH gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Nichtannahmebeschluss vom 13. Mai 2015 – 2 BvR 616/13, ZD 2015, 423 ff.).
In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird im Unterschied zur Auffassung des BGH teilweise vertreten, dass § 81h StPO weder ein ausdrückliches Verbot noch eine besondere Einschränkung für die Erhebung oder Verwertung eines Beinahetreffers enthalte. Bei der Feststellung des möglichen Verwandtschaftsverhältnisses handele es sich um eine zufällige Erkenntnis aus den gesetzlich vorgesehenen Untersuchungsmethoden und -zwecken (Brocke, StraFo 2011, 298, 299, ähnlich Rogall in SK-StPO, Band I §§ 1- 93 StPO, 4. Auflage, § 81h StPO Rn. 7). Man könne den Beinahetreffer als „technisch bedingtes Nebenprodukt“ bezeichnen, das lediglich bei Gelegenheit der Abgleichung und somit in Ausführung des eigentlich angestrebten Ziels der Ermittlungsmaßnahme anfalle, so dass die Beweiserhebung zulässig sei (Brocke, StraFo 2011, 298, 300, 303 f.).
Die nunmehr getroffene Regelung räumt die bestehenden Zweifel an der Verwertbarkeit von Beinahetreffern aus.
Die Änderung setzt dabei auf der zweiten von drei Stufen an. Unberührt bleiben die Beweismittelerhebung durch die Entnahme von Körperzellen (§ 81h Absatz 1 Nummer 1 StPO) und ihre molekulargenetische Untersuchung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters und des Geschlechts (§ 81h Absatz 1 Nummer 2 StPO) sowie der automatisierte Abgleich mit dem Spurenmaterial (§ 81h Absatz 1 Nummer 3 StPO). Erweitert wird aber der Untersuchungsumfang nach § 81h Absatz 1 Halbsatz 2 StPO: Statt der Feststellung „ob das Spurenmaterial von diesen Personen stammt“ im Sinne eines „Hit-/No-hit-Verfahrens“, soll künftig auch untersucht werden können, ob das Spurenmaterial genetische Ähnlichkeit mit dem DNA-Identifizierungsmuster von Probanden aufweist. Wenn dies der Fall ist und die genetisch ähnliche Probe deanonymisiert wurde, kann auf der dritten Stufe gegen einen konkreten Verdächtigen (d. h. gegen einen Dritten, der mit dem Probanden eng verwandt ist) eine DNA-Analyse nach Maßgabe der §§ 81a und 81e StPO angeordnet werden, wenn gegen ihn ein hinreichender Verdacht besteht.
Die Erweiterung des Untersuchungsumfangs auf genetische Ähnlichkeit und die Deanonymisierung im Trefferfalle berühren dabei das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG) desjenigen, der an der Reihenuntersuchung teilnimmt. Ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in dieses Recht scheidet jedoch aus, wenn die Maßnahme auf der Grundlage einer hinreichend konkreten Einwilligung des Betroffenen erfolgt, die frei von Willensmängeln ist (vgl. nur Di Fabio, in; Maunz/Dürig, GG, Artikel 2 Absatz 1 Rn. 228).
Damit der Betroffene die Tragweite seiner Erklärung überblicken kann, muss er hinreichend klar darüber belehrt werden, dass bei einem Ähnlichkeitstreffer auch Verwandte in Verdacht geraten können. Deshalb wird nunmehr gesetzlich festgelegt, ab welchem Grad an Übereinstimmung zwischen Spurenmaterial und Beinahetreffer die weitere Verwertung als Beweismittel gegenüber dem tatsächlichen Spurenverursacher zugelassen ist. Anderenfalls könnte der zu Belehrende nicht abschätzen, welchen Personenkreis er durch eine Probenabgabe potenziell dem Risiko einer durch einen Beinahetreffer ausgelösten weiteren strafrechtlichen Untersuchung aussetzt.
Der Teilnehmer an der Reihenuntersuchung kann somit zum einen darüber disponieren, ob er durch sein Verhalten dazu beitragen möchte, dass ein naher Verwandter der Strafverfolgung ausgesetzt wird.
Zum anderen ändert die erweiterte Untersuchungsmöglichkeit nichts Grundsätzliches an der Freiwilligkeit der Einwilligung in die Maßnahme nach § 81h StPO. Eine Einwilligung ist (erst dann) als unwirksam anzusehen, wenn dem Grundrechtsträger aufgrund einer Zwangslage keine wirkliche Wahlfreiheit verbleibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. August 1981 – 2 BvR 166/81, NJW 1982, 375). Eine solche Zwangslage könnte bei DNA-Reihenuntersuchungen entstehen, wenn potenzielle Teilnehmer einer DNA-Reihenuntersuchung damit rechnen müssten, gerade durch die Nichtteilnahme den Verdacht auf sich zu lenken. Daher kann eine Einwilligung in diesem Fall nur wirksam sein, wenn deren Verweigerung für sich genommen keinen Verdacht begründet. Dies ist in Bezug auf die bisherige Regelung des § 81h StPO allgemein anerkannt (vgl. Krause, in: Löwe/Rosenberg, Strafprozessordnung, 26. Aufl. 2008, § 81h Rn. 7). Insoweit würde die Erweiterung des Untersuchungsumfangs auf genetische Ähnlichkeit die Situation aber gerade nicht verschärfen: Verweigert jemand nämlich nach entsprechender Belehrung seine Teilnahme an der Reihenuntersuchung, könnte dem künftig auch der Wunsch zu Grunde liegen, keine Verwandten „ans Messer liefern“ zu wollen. Die Teilnahmeverweigerung ließe also sogar mehr Deutungen zu als nach der derzeitigen Gesetzeslage.
Potenziell von der Ausweitung der Untersuchungsmöglichkeiten betroffen sind ferner die nahen Verwandten derjenigen, die an der DNA-Reihenuntersuchung teilnehmen. Ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird von der Ausweitung der Untersuchungsmöglichkeiten aber nicht betroffen: Untersucht wird weiter ausschließlich das genetische Material der Probanden, die an der Reihenuntersuchung teilgenommen haben. Sollte sich dabei eine Ähnlichkeit mit dem Spurenmaterial ergeben, wird damit nur eine statistische Aussage über das genetische Material des Probanden getroffen. Ein Bezug zu konkreten anderen Personen im Sinne eines personenbeziehbaren Datums lässt sich mit diesem Ergebnis zunächst nicht herstellen. Erst wenn die Ermittlungsbehörden aufgrund des Beinahetreffers – ausgehend vom Probanden – weitere Ermittlungen anstellen, um herauszufinden, ob er tatsächlich Verwandte hat, die als Täter in Frage kommen, kann sich ein Tatverdacht gegen konkrete Dritte ergeben. Selbst wenn man deshalb von einem Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung ausgehen würde, wäre dieser jedenfalls durch das hoch zu gewichtende staatliche Interesse an der Aufklärung und Verfolgung von (schweren) Straftaten gerechtfertigt.
Auch Artikel 6 Absatz 1 GG ist nicht berührt. Das Familiengrundrecht schützt vor staatlichen Maßnahmen, die die Familie schädigen, stören oder sonst beeinträchtigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1957 – 1 BvL 4/54 –, BVerfGE 6, 55, 76). Es vermittelt aber keinen Schutz gegen Familienangehörige, die freiwillig zur Strafverfolgung eines Verwandten beitragen.
Die erweiterten Untersuchungsmöglichkeiten stellen auch keinen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze des „fair trial“ dar. Derjenige, der infolge eines Beinahetreffers und weiterer Ermittlungen in Verdacht geraten ist, steht nicht anders, als hätte ihn ein Verwandter gegenüber der Polizei der Tat bezichtigt. Gegen die Ergebnisse eines DNA-Tests, der gegen ihn selbst nach § 81f StPO angeordnet wurde (3. Stufe), kann er sich uneingeschränkt verteidigen (vgl. Magnus, ZStW 2014, S. 695, 717).


10.2.2017 - 953. BR-Sitzung - TOP 96


TOP 96: 117/17 Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung des Umfangs der Untersuchungen von DNA-fähigem Material

Gesetzentwurf 117/17: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2017/0101-0200/117-17.pdf?__blob=publicationFile&v=5

BR-Plenarantrag 117/1/17: https://www.bundesrat.de/drs.html?id=117-1-17

Auszüge aus dem Gesetzentwurf:

Problem und Ziel: Schwerwiegende Straftaten wie Entführungs- und Mordfälle oder Sexualstraftaten berühren in besonderem Maße das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Die Aufklärung solcher Taten erfordert oftmals aufwändige, zum Teil mehrjährige polizeiliche Ermittlungen. Teilweise müssen von den Polizeidienststellen über 10.000 Spuren verfolgt werden. Diese Fälle machen deutlich, dass hinsichtlich der Regelungen der Strafprozessordnung zur Untersuchung von DNA-fähigem Spurenmaterial dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Während sich die wissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten in diesem Bereich in den vergangenen Jahren erheblich erweitert haben, sind die gesetzlichen Grundlagen seit dem Jahr 2004 und damit auch die Handlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden unverändert geblieben.

[Es geht also um das Sicherheitsgefühl? o_O]

Lösung: Es sollen die Untersuchungsmöglichkeiten in § 81e StPO auf Augenfarbe, Haarfarbe, Hautfarbe sowie biologisches Alter erweitert werden.

[Hatten wir so etwas nicht schon einmal ...]

Zu Nummer 2 (§ 81e Absatz 2 StPO-E)
Durch die Änderung des Absatzes 2 sollen die zulässigen Untersuchungen von DNA-fähigem Material um die Merkmale Augenfarbe, Haarfarbe, Hautfarbe sowie biologisches Alter erweitert werden.
Diese äußerlich sichtbaren Körpermerkmale können nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen durch Untersuchungen genetischer Informationen mit der im Folgenden jeweils angegebenen Vorhersagegenauigkeit bestimmt werden:
  • Augenfarbe blau oder braun: 90-95%;
  • Haarfarben rot, blond, braun oder schwarz: 75-90%;
  • Hautfarbe: helle und dunkle Hauttypen: 98%.
Dass mit den Untersuchungen keine Feststellungen getroffen werden können, die für sich genommen eine Zuordnung zu einer bestimmten Person mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erlauben, steht den Erhebungen nicht entgegen. Die Erweiterung der Untersuchungsmöglichkeiten dient der Ausweitung der Erkenntnismöglichkeiten, namentlich der Priorisierung bestimmter Maßnahmen im Ermittlungsverfahren im Hinblick auf einen möglichen Täterkreis. Die hierdurch möglicherweise gewonnenen Erkenntnisse könnten — z.B. im Rahmen einer DNA-Reihenuntersuchung — letztlich zu verschiedenen Verdächtigen führen, deren DNA mit dem Spurenmaterial verglich__en werden könnte. Erst eine Ubereinstimmung insoweit könnte dann tatsächlich zu einer Uberführung des Täters führen und eine Verurteilung ermöglichen.
Die Vorhersagegenauigkeit in Bezug auf das biologische Alter einer Person liegt bei +/- 3 bis 5 Jahren. Im Einzelfall sind Abweichungen bis zu zehn Jahren möglich. Der Umstand, dass das biologische Alter aufgrund der Lebensumstände besonders ab dem mittleren Alter vom Erscheinungsbild abweichen kann, ist hierbei bereits berücksichtigt. Zwar bergen diese Feststellungen durchaus Ungenauigkeiten. Solche Ungenauigkeiten treten jedoch auch (und erst recht) bei Aussagen von Augenzeugen auf, die das Alter einer Person einschätzen.
Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen gegen eine solche Ausweitung der Untersuchungsmöglichkeiten keine (siehe hierzu oben A.I.).

Wie ist der Bundesrat damit umgegangen?

Rechtsausschuss, Ausschuss für Innere und Angelegenheit und Wirtschaftsausschuss des Bundesrats empfahlen das Abnicken der BR-Drucksache 215/1/17: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2017/0201-0300/215-1-17.pdf?__blob=publicationFile&v=5

Dem zugrunde liegt ein Antrag aus Bayern mit dem populistischen Titel

Entschließung des Bundesrates "Für eine schlagkräftige Strafverfogung von Terrorismus, Extremismus, Wonungseinbruch und Cybercrime" (BR-DS 215/17 vom 7.2.2017)

Auszüge aus diesem Antrag der CSU:

Genetischer und daktyloskopischer Fingerabdruck müssen gleichgestellt werden, um Aufbau und Pflege der zentral beim Bundeskriminalamt geführten DNA-Analyse-Datei auf eine breitere Basis zu stellen. Damit würden die Aufklärungsmöglichkeiten für künftige Straftaten und somit die Effektivität der Strafverfolgung ebenso verbessert wie der Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten.
Erreichen lässt sich dies durch einen Verzicht auf den de lege lata vorgesehenen qualifizierten Anlasstatenkatalog, die bisher in § 81g Absatz 1 StPO enthaltene notwendige Prognose des Verdachts einer Straftat von erheblicher Bedeutung sowie einen weitgehenden Verzicht auf das bislang in § 81f StPO normierte richterliche Anordnungsverfahren.


31.3.2017 - 956. BR-Sitzung - TOP 16


TOP 16: 117/17 Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung des Umfangs der Untersuchungen von DNA-fähigem Material

Grunddrucksache 117/17: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2017/0101-0200/117-17.pdf?__blob=publicationFile&v=5

Weitere Details siehe TOP 96 vom 10.2.2017.

Bundesrat-Beschluß: "Fortsetzung der Ausschussberatungen"


31.3.2017 - 956. BR-Sitzung - TOP 20


TOP 20: 215/17 Entschließung des Bundesrates "Für eine schlagkräftige Strafverfolgung von Terrorismus, Extremismus, Wohnungseinbruch und Cybercrime"

Grunddrucksache 215/17 (Antrag des "Freistaats Bayern"): https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2017/0201-0300/215-17.pdf?__blob=publicationFile&v=6

Weitere Details siehe TOP 96 vom 10.2.2017 (Bezugnahme ganz am Ende).

Dieser Antrag wurde abgelehnt!


31.3.2017 - 956. BR-Sitzung - TOP 80


TOP 80: 231/17 Entwurf eines Gesetzes zur Angleichung von genetischem und daktyloskopischem Fingerabdruck im Strafverfahren

DS 231/17 - Gesetzesantrag des "Freistaats Bayern": https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2017/0201-0300/231-17.pdf?__blob=publicationFile&v=7

Auszüge aus dem Gesetzantrag:

Problem und Ziel: Die molekularrgenetische Untersuchung von Körperzellen zum Nachweis der Identität eines Spurenlegers gehört mittlerweile zum Standardrepertoire staatsanwaltschaftlicher und polizeilicher Ermittlungstätigkeit. Als besonders erfolgreich erweist sich dabei die Nutzung der DNA-Datei des Bundeskriminalamtes, die in einer weiterhin steigenden Anzahl von Fällen die schnelle und zuverlässige Identifikation von Spurenlegern ermöglicht. Aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden besteht ein dringendes Bedürfnis, den Aufbau und die Pflege der DNA-Analyse-Datei auf eine breitere Grundlage zu stellen und damit die Effizienz der Tataufklärung weiter zu verbessern. Dieses Bedürfnis begründet sich auch in einer Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor Straftaten. Das geltende Recht sieht die Erhebung des genetischen Fingerabdrucks zu Zwecken künftiger Strafverfahren nur in engen Grenzen vor. Voraussetzung ist der Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung oder eines Deliktes gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie die Prognose, dass gegen den Betroffenen künftig Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Mit diesen Einschränkungen will das bisherige Recht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insbesondere im Hinblick auf den Schutz der in der DNA verschlüsselten Erbinformationen Rechnung tragen. DieE rhebung und Nutzung des genetischen Fingerabdrucks erlaubt indes im Zusammenhangmit der DNA-Identitätsfeststellung über die Geschlechtsbestimmung hinaus keine qualitative Auswertung der Erbinformation, sondern hat ausschließlich eine Überprüfung von Mustern auf Übereinstimmung oder Abweichung zum Gegenstand.
Lösung: Der Entwurf schlägt vor, den Anwendungsbereich der DNA-Analyse für die Zwecke künftiger Strafverfahren zu erweitern und den im geltenden Recht für die Durchführung sonstiger erkennungsdienstlicher Maßnahmen vorgesehenen materiellen Voraussetzungen anzugleichen. Damit entfallen die im geltenden Recht vorgegebenen besonderen Verhältnismäßigkeitsabwägungen durch Bewertung von Anlassverdacht und prognostiziertem künftigen Verfahren nach dem Kriterium der Straftat von erheblicher Bedeutung. Die Maßnahme unterliegt vielmehr einer allgemeinen Negativprognose, wie sie der Polizei bereits im geltenden Recht für erkennungsdienstliche Maßnahmen aufgegeben ist. Auch der Richtervorbehalt hinsichtlich der Erhebung des DNA-Identifizierungsmusters wird damit entbehrlich und ermöglicht eine Vereinfachung.
Alternativen: Keine.

Beschluß des Bundestags: Ausschusszuweisung


25.4.2017 Kritische Stellungnahme eines 25 Gruppen starken Bündnisses


Stellungnahme gegen die Erweiterung polizeilicher Befugnisse in der DNA-Analyse


Sicherheitspolitiker_innen drängen derzeit darauf, noch in dieser Legislaturperiode eine Gesetzesreform zu verabschieden, die die polizeilichen Befugnisse bei der DNA-Analyse drastisch erweitern soll. Den Strafverfolgungsbehörden soll erlaubt werden, DNA auf Marker für Haut-, Haar- oder Augenfarbe zu untersuchen, so die Eingabe aus dem Bundesrat. Bei Massengentests soll die Polizei Rückschlüsse auf die DNA von Verwandten einer Probengeber_in ziehen zu dürfen, so die Gesetzesinitiative der Bundesregierung. Und Bayern fordert zudem, auch die Analyse „biogeographischer Herkunftsmarker“ zu legalisieren.

Wir protestieren gegen diese Vorhaben, wie sie im „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ gebündelt werden. Die vorgeschlagenen Verfahren erlauben keine eindeutigen Aussagen, sondern nur Wahrscheinlichkeitsbewertungen (1). Vor allem aber verletzen sie bisherige Standards des Datenschutzes (2) und können rassistische Stimmungsmache und Diskriminierung fördern oder gar heraufbeschwören (3).


1) Politik und Medien überschätzen die wissenschaftliche Aussagekraft und den kriminalistischen Nutzen dieser DNA-Analyseverfahren bei weitem – Fehlinterpretationen sind vorprogrammiert

Die zur Legalisierung vorgeschlagenen Verfahren sind weder wissenschaftlich ausreichend überprüft noch kriminalistisch konsistent. Einfacher gesagt: Sie versprechen wesentlich mehr, als sie halten. Die Aussagekraft von Tests für die meisten Haar- und Augenfarben ebenso wie für die Hautfarbe ist äußerst niedrig. Nur bei spezifischen Merkmalen (eindeutig blauen oder dunkelbraunen Augen, eindeutig schwarzen oder roten Haaren) gibt es höhere Vorhersagewahrscheinlichkeiten. In den Studien liegen hier die Trefferquoten je nach verwendeten Markern, Referenzpopulationen und statistischen Modellen zwischen 87 und allerhöchstens 98 Prozent. Das heißt aber umgekehrt, dass selbst bei diesen Pigmentierungen 2 bis 13 Prozent der Ermittlungen in die Irre geführt werden. Zudem sind diese Verfahren wissenschaftlich bisher nicht ausreichend überprüft, und vorliegende Validierungsstudien sind von äußerst mangelhafter Qualität.

Ähnlich vage Ergebnisse erzielen Tests auf die „biogeographische Herkunft“. Höhere Wahrscheinlichkeiten lassen sich allenfalls bei kontinentaler Herkunft erzielen, nicht aber bei nationalen oder regionalen Eingrenzungen. Auch für Laien ist offensichtlich, dass angesichts der Geschichte globaler Migration selbst kontinentale Zuordnungen notwendig fehleranfällig sind. Die derzeit verfügbaren Tests kommen auch bei gleicher DNA aufgrund verschiedener Referenzdaten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zudem basieren diese Datenbanken auf stereotypen Zuschreibungen, wenn es um Ethnizität und Herkunft geht. So deskriptiv die „biogeographischen Marker“ vermeintlich sind – so sehr basieren sie auf Strategien der Rassifizierung.

Ebenso überschätzt der Gesetzentwurf auch das Verfahren der Verwandtensuche. Bei Massengentests sollen Verwandte einer/s Probengeber_in in Ermittlungen einbezogen werden, wenn das Proben-DNA-Profil teilweise mit dem Spuren-DNA-Profil übereinstimmt. Das Gesetz bestimmt nicht, wie hoch die Teilübereinstimmung ausfallen muss und erlaubt Rückschlüsse bis auf Verwandte dritten Grades in der Seitenlinie, auch wenn hier biostatistisch die Übereinstimmungen nur noch gering sind und eine hohe Quote falsch-positiver Zufallstreffer erwartbar ist. Zudem würde eine sehr große Gruppe entfernt verwandter Personen in Ermittlungen einbezogen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung mit der Spuren-DNA äußerst gering ist.

Der kriminalistische Nutzen dieser Verfahren ist insofern fragwürdig. Tatsächlich kommen sie auch dort, wo sie legal sind, äußerst selten zur Anwendung und führen noch seltener zu Ermittlungserfolgen. Vielmehr besteht die Gefahr, dass eine wissenschaftsgläubige Überschätzung dieser Methoden, zu denen auch die mediale Darstellung der Gerichtsmedizin entscheidend beigetragen hat (der sogenannte CSI-Effekt), zu Fehlinterpretationen und irregeleiteten Ermittlungen führt.


2) Das Gesetzesprojekt verletzt seit langem gültige datenschutzrechtliche Prinzipien

Die zur Debatte stehenden DNA-Analyseverfahren verletzen bisher gültige datenschutzrechtliche Standards. Dies wiegt umso schwerer, als sie uneingeschränkt für alle Ermittlungen zugelassen werden sollen, bei denen heute DNA-Analysen erlaubt sind, also im Falle der Marker zu Aussehen und biographischer Herkunft etwa auch bei Diebstahl. Und Diebstahlermittlungen sind entgegen landläufiger Vorstellungen derzeit der bei weitem häufigste Anlass für DNA-Analysen, nicht Kapitaldelikte.

Bisher gilt das Prinzip, dass nur „nichtkodierende“ Bereiche der DNA analysiert werden dürfen, die keine Rückschlüsse auf Eigenschaften einer Person erlauben – mit der einzigen Ausnahme der chromosomalen Geschlechtsanalyse. Mit dem Gesetz sollen nun auch Analysen von Haut-, Haar- und Augenfarbe als unproblematisch gelten, da es sich um „äußerlich erkennbare Merkmale“ handele. Abgesehen davon, dass Haare gefärbt oder Augenfarben mit Kontaktlinsen geändert werden können, unterliegen grundsätzlich alle Pigmentierungen subjektiven und gesellschaftlichen Interpretationen. Eindeutige Zuordnungen sind also nicht so unproblematisch wie behauptet. Zudem steht zu befürchten, dass solche Tests neue Formen der Datenbankerfassung von Haar-, Haut- oder Augenfarbe nach sich ziehen, um die Testergebnisse in Ermittlungen überhaupt sinnvoll nutzen zu können.

Auch die angestrebte Zulassung der Verwandtensuche bei Reihenuntersuchungen steht in extremem Gegensatz zu bisherigen Kriterien von DNA-Analysen: Die so indirekt genetisch erfassten Verwandten können weder freiwillig zustimmen, noch sind sie Beschuldigte in einem Verfahren. Bei der Recherche von Verwandten bis zum dritten Grad würde eine enorme Anzahl Unbeteiligter ins Visier von Ermittlungen geraten. Zudem ist auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Teilnehmer_innen an solchen Massengentests gefährdet. Der Deutsche Anwaltverein hat dieses Verfahren bereits im August 2016 scharf kritisiert. Die Teilnehmenden könnten das Ausmaß der Tragweite ihrer Einwilligung zu einer Probenabgabe nicht abschätzen, mit der sie möglicherweise verdachtsbegründendes Material gegenüber Verwandten bereitstellen.


3) Die Anwendung dieser Verfahren kann rassistische Stimmungsmache auslösen und dazu führen, dass diskriminierte Gruppen öffentlich unter Generalverdacht gestellt werden

Es steht zu befürchten, dass die Ermittlungen nach Täter_innen entlang vager und fehleranfälliger Analysen äußerlicher Merkmale oder „biogeographischer Herkunft“ Diskriminierung oder gar rassistische Hetze verstärken oder auslösen. Technologien wirken nicht im luftleeren Raum, sondern stehen in Kontext aktueller gesellschaftlicher Verhältnisse; dies gilt auch für polizeiliche Analyseverfahren. Schon der konkrete Anlass der aktuellen Gesetzesdebatte macht diese Gefahr mehr als deutlich. Die Gesetzgeber_innen reagierten unmittelbar auf die Hetzkampagne einer rassistischen Sekte, nachdem in Freiburg eine junge Frau ermordet worden war. Auch wenn die nun angestrebten DNA-Analyse-Verfahren für die Lösung dieses Falls laut rechtsmedizinischer Expertise gar nicht einsetzbar gewesen wären, stellen Politik und Medien sie als kriminalistisches Non plus ultra für gerade solche Fälle dar.

Zwar könnten auch Blauäugige oder Rothaarige über solche Verfahren ins Visier von Ermittlungen geraten. Aktuelle Erfahrungen zeigen aber, dass die deutsche Öffentlichkeit ungleich interessierter ist, wenn es um rassistisch diskriminierte Gruppen geht, die unter Generalverdacht gestellt werden können. Sollte auch die Suche nach „biogeographischen Herkunftsmarkern“ erlaubt werden, potenziert sich diese Gefahr noch einmal. Selbst polizeiliche und forensische Expert_innen haben in jüngsten öffentlichen Statements hierzu fälschlicherweise viele Formen der Kategorisierung durcheinander gebracht. Während die einen etwa betonen, dass diese Analysen keine Aussagen über das Aussehen zulassen, halten andere sie für adäquat, um etwas über die Hautfarbe aussagen oder gar die Person kulturell, nämlich „ethnisch“ einordnen zu können.

Befürworter_innen erklären zwar gerne, Kriminalist_innen wüssten über die Grenzen der Aussagekraft und Fehleranfälligkeit der Methoden Bescheid. Die gefährliche Wirkmächtigkeit von Technologiegläubigkeit kombiniert mit rassistischen Vorverurteilungen innerhalb der Sicherheitsapparate ist jedoch nicht zu unterschätzen. Dies haben etwa die Ermittlungsfehler beim so genannten „Phantom von Heilbronn“ mehr als deutlich gemacht: Die DNA einer Wattestäbchenverpackerin löste eine unglaubliche Ermittlungs- und Hetzkampagne gegen Roma und Sinti aus, während andere Ermittlungen etwa in Richtung rechter Gruppen zu dem Mord, der später dem NSU zugeordnet werden konnte, ausblieben.


Wir protestieren gegen das Gesetzesvorhaben und fordern antirassistisch und datenschutzrechtlich engagierte Gruppen und Einzelpersonen auf, sich diesem Protest anzuschließen.

Die Zeit ist knapp und wir müssen schnell aktiv werden!

  • Wir protestieren gegen die fehlgeleitete politische und mediale Darstellung dieser Methoden. Die sicherheitspolitisch geforderten DNA-Analysen sind keine Wahrheitsmaschinerie, sondern hochgradig fehleranfällig. Die Gefahren ihrer Anwendung wiegen weitaus schwerer als ihr geringer kriminalistischer Nutzen!
  • Wir protestieren dagegen, dass bisher gültige Datenschutzrechte dramatisch verletzt werden, wenn Rückschlüsse auf persönliche Eigenschaften und Verwandtschaftsbeziehungen via DNA-Analyse erlaubt werden!
  • Wir protestieren dagegen, dass das Gesetzesvorhaben rassistischer Stimmungsmache Vorschub leistet. Öffentliche Generalverdächtigungen gegen diskriminierte Gruppen aufgrund der Analyse von Haut-, Haar- und Augenfarben oder Herkunftsmarkern dürfen nicht durch solche Verfahren ermöglicht werden!


Pressemitteilung des Gen-ethischen Netzwerks


25 Organisationen fordern: Keine Erweiterung polizeilicher Befugnisse in der DNA-Analyse!

(Berlin, 25. April 2017) In größter Eile bemühen sich Sicherheitspolitiker_innen derzeit darum, noch in dieser Legislaturperiode die polizeilichen Befugnisse bei der DNA-Analyse drastisch zu erweitern. Mit dieser Stellungnahme protestieren 25 zivilgesellschaftliche Organisationen gegen diesen äußerst bedenklichen Vorstoß. Sie bemängeln eine fehlgeleitete Informationspolitik, die Verletzung von Datenschutzrechten und befürchten rassistische Stimmungsmache.

Am 27.04.2017 wollen sich Vertreter_innen der Koalition über die endgültige Version des Entwurfs des „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ einigen, der schon im Mai durch den Bundestag beschlossen werden soll. Mit dem Gesetz soll es der Polizei erlaubt werden, bei Massengentests Rückschlüsse auf die DNA von Verwandten einer Probengeber_in zu ziehen. Außerdem kamen aus dem Bundesrat weitere Forderungen, nämlich im Rahmen dieses Gesetzes auch die Vorhersage von Augen-, Haar und Hautfarben über DNA-Analysen sowie die Tests so genannter „biogeographischer Herkunftsmarker“ zu legalisieren.

Susanne Schultz, Vorstandsmitglied des Gen-ethischen Netzwerks sagt dazu: „Diese Analysen erlauben keine eindeutigen Aussagen, es geht hier um Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Diese sind nicht nur methodisch hochproblematisch. Mit der Verwandtensuche wird das Prinzip der Freiwilligkeit bei Massengentests verletzt.“ Weiterhin erklärte sie, infolge der technisch fragwürdigen Analyse körperlicher Merkmale und Herkunftsmarker könnten diskriminierte Gruppen Opfer von Hetzkampagnen werden. Die Organisationen protestieren gegen diese geplanten Erweiterungen und fordern die Verantwortlichen auf, von den Plänen Abstand zu nehmen.

Pressekontakt
Susanne Schultz, GeN - Gen-ethisches Netzwerk e.V.
Tel.: 0160/96715547

eMail: susanne.schultz@gen-ethisches-netzwerk.de


Informationen zu den DNA-Test-Verfahren und der Debatte um den Gesetzentwurf:


freiheitsfoo-Blogbeitrag dazu


https://freiheitsfoo.de/2017/04/25/polizeiliche-biogeographie/


Bearbeiten - Versionen - Druckansicht - Aktuelle Änderungen - Suchen
Zuletzt geändert am 26.04.2017 00:53 Uhr