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G20-Demo-Infos

Informationssammlung für Demonstrationsteilnehmer und Meinungskundtuende beim G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg (und überhaupt)

Vorweg: Die folgenden Informationen wurden nach besten Wissen und Gewissen zusammengetragen. Wir, die Verfasser und Zusammentragende der Texte und Dokumente, können aber trotzdem nicht garantieren, dass alles, was folgt, in allen Punkten richtig ist oder - und das können wir leider noch viel weniger versprechen - dass sich die Beamt*innen an das halten, was eigentlich sein sollte ... Wir hoffen, dass euch irgendwas von dieser auf den ersten Blick erschlagenden (und leider eiligst zusammen getragenen) Informationssammlung weiterhelfen kann!

Wir wünschen eine gute, fröhliche und energische Protestzeit,
die Leute vom freiheitsfoo.

Diese Wikiseite gibt es auch (in einer Version vom 2.7.2017) als pdf-Dokument und als odt-Dokument.



GRUNDGESETZLICHE GRUNDLAGEN: VERSAMMLUNGS- UND MEINUNGSFREIHEIT


Grundgesetz-Artikel 5 (Auszug):

"Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. (...) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. (...)"


Grundgesetz-Artikel 8:

''"Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden."


WAS IST EINE VERSAMMLUNG?


Eine Versammlung (oder auch u.a. "Demonstration") ist das Zusammensein mehrerer Personen zu gemeinsamer Erörterung oder Kundgebung. Entscheidend ist den Gerichten zufolge, dass diese kollektive Meinungsäußerung mit dem Ziel erfolgt, "auf die Öffentlichkeit entsprechend einzuwirken". Nach aktueller Rechtssprechung können bereits zwei Personen (oder eben mehr) eine Versammlung sein!

Übrigens: Die "Versammlungsbehörde" ist formell zuständig für die Annahme einer Demo-Ankündigung und für etwaige Gespräche und Verhandlungen dazu. Ab Beginn der Demo ist jedoch die Polizei die zuständige und verantwortliche Stelle für alle anstehenden Fragen und Probleme. Leider, denn die Polizei vertritt üblicherweise tendentiell eher die Interessen zur Aufrechterhaltung der (so genannten) öffentlichen Ordnung und Sicherheit und gewichtet bei Streitfällen die Versammlungsfreiheit weniger stark.

Siehe zur Definition einer Versammlung im Gesamttext (aus juristischer Sicht) die Rechtssprechungen des BVerfG und BVerwG z.B. zur "Fuckparade 2001", Az. BVerwG 6 C 23.06, dort Randnummer 15:

"Nach § 1 Abs. 1 VersG hat jedermann u.a. das Recht, öffentliche Versammlungen zu veranstalten. Art. 8 Abs. 1 GG verleiht allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Der Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes entspricht demjenigen des Grundgesetzes. Die Gleichsetzung beider Versammlungsbegriffe erweist sich als verfassungsgemäß. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Versammlungsfreiheit will das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Menschen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) schützen. Eine Versammlung wird dadurch charakterisiert, dass eine Personenmehrheit durch einen gemeinsamen Zweck inhaltlich verbunden ist. Das Grundrecht schützt die Freiheit der Versammlung als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung. Der besondere Schutz der Versammlungsfreiheit beruht auf ihrer Bedeutung für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung in der freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes. Für die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 GG reicht es wegen seines Bezugs auf den Prozess öffentlicher Meinungsbildung nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vorausgesetzt ist vielmehr zusätzlich, dass die Zusammenkunft auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG und damit auch des Versammlungsgesetzes sind demnach örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zu gemeinschaftlicher, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Entscheidend ist, dass die Meinungsbildung und -äußerung mit dem Ziel erfolgt, auf die Öffentlichkeit entsprechend einzuwirken. Die Erörterung und Kundgebung muss in Angelegenheiten erfolgen, die zur öffentlichen Meinungsbildung bestimmt und geeignet sind. Der Schutz der Versammlungsfreiheit umfasst nicht nur das gewählte Thema der Veranstaltung, sondern auch die Entscheidung, welche Maßnahmen der Veranstalter zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für sein Anliegen einsetzen will. Die vom Versammlungsrecht geschützten Veranstaltungen sind nicht auf Zusammenkünfte traditioneller Art beschränkt, sondern umfassen vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens. Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen fallen allerdings unter den Versammlungsbegriff ebenso wenig wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind, einerlei, ob der dort vorherrschende Musiktyp ein Lebensgefühl von so genannten Subkulturen ausdrückt oder dem Massengeschmack entspricht. Andererseits erstreckt sich der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auch auf solche Veranstaltungen, die ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik und Tanz verwirklichen. Dies ist zu bejahen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken. Von der Versammlungsfreiheit sind solche Veranstaltungen beispielsweise auch dann erfasst, wenn sie sich dafür einsetzen, dass bestimmte Musik- und Tanzveranstaltungen auch in Zukunft ermöglicht werden. Geschützt durch Art. 8 GG ist in solchen Fällen die kommunikative Einflussnahme auf die öffentliche Meinung, um auf die zukünftige Durchführung solcher Veranstaltungen hinzuwirken, nicht aber das Abhalten der Musik- und Tanzveranstaltungen selbst. Eine Musik- und Tanzveranstaltung wird jedoch nicht allein dadurch zu einer Versammlung im Sinne von Art. 8 GG, dass bei ihrer Gelegenheit auch Meinungskundgaben erfolgen."

Siehe auch den Brokdorf-Beschluss weiter unten!


WAS IST EINE SPONTANDEMO, WAS IST EINE EILVERSAMMLUNG?


Während "normale" Demonstrationen üblicherweise mindestens 2 Tage (48 Stunden) vor Stattfinden der Versammlungsbehörde gegenüber angekündigt werden müssen, kann das im Einzelfall (z.B. aufgrund eines aktuellen Anlasses) nicht mehr praktikabel sein. Wenn eine Ankündigung bei der Versammlungsbehörde ohne Gefahr zu laufen, die beabsichtigte Demonstration dadurch zu beeinträchtigen möglich ist, die 48-Stunden-Frist aber nicht eingehalten werden kann, dann handelt es sich um eine "Eilversammlung". Bei der "Spontanversammlung" entsteht eine Demonstration ohne irgendeine vorherige Planung oder Überlegung dazu, also "spontan" aus einem Moment heraus.

Wichtig: Spontanversammlungen benötigen keine*n Anmelder*in und keine*n Leiter*in. Die Polizei versucht regelmäßig, bei Spontanversammlungen eine Person zu solchen Funktionen zu erklären oder danach zu verlangen, was jedoch unzulässig ist. Die Übernahme einer solchen "Funktion" kann für den betreffenden Menschen schwerwiegende Konsequenzen haben!

Siehe auch den Brokdorf-Beschluss weiter unten!


DARF ICH ALS EINZELNER MEINE MEINUNG ÄUSSERN?


Ja, klar doch, solange die Meinungsäußerung selber nicht (im Sinne der derzeitig herrschenden Gesetzeslage) einen Straftatbestand darstellen, also z.B. gewaltverherrlichend sind oder die Würde anderer Menschen konkret verletzt.

Niemand darf dich daran hindern, als einzelne Person deine Meinung frei und ungezwungen zu äußern, sei es mittels Protestschild oder auf sonsteine kreative Art und Weise.

Falls mehrere Menschen unabhängig voneinander so eine Meinungskundgabe praktizieren und zufällig am gleichen Ort stehen (was in bestimmten Fällen sehr schnell passieren kann), dann versucht die Polizei manchmal, das als Versammlung umzudefinieren. Das darf die Polizei aber nicht, wenn tatsächlich die protestierenden oder meinungskundgebenden Menschen unabhängig und ohne Absprache untereinander Ihren Standpunkt kundtun. Nicht einschüchtern lassen!


(WANN) DARF DIE POLIZEI MENSCHEN KONTROLLIEREN BZW. DEREN AUSWEIS VERLANGEN?


Grundsätzlich (und das gilt auch für viele andere Fragen dieser Dokumentation hier) gilt zu unterscheiden, ob man es mit der Polizei der Stadt Hamburg oder aber (z.B. in Bahnhöfen und Flughäfen oder in deren unmittelbarer Nähe) mit der Bundespolizei zu tun hat. Denn dafür gibt es unterschiedliche Rechtsgrundlagen. Wir beschränken uns hier auf die Begegnung mit der Hamburger Polizei bzw. mit Polizeien aus anderen Bundesländern, die jedoch nur hoheitlich die Hamburger Polizei vertreten (können).

Die Polizei darf nur aus Gründen der "Gefahrenabwehr" Personenkontrollen durchführen oder wenn sie der Person eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit vorwirft.

Also: Erst (höflich, ruhig, sachlich aber beharrlich) nach dem Grund einer Personenkontrolle fragen und sich das notieren. Gerne auch nach Name oder (optional) Dienstnummer des/der Polizisten fragen und sich das notieren (Gedächtnisprotokoll).

Die Grundlagen zur Rechtfertigung einer Durchsuchung sind in der Praxis ebenfalls manchmal schwammig. Die Polizei darf sich dann das Recht dazu ausnehmen, wenn "Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass [die durchsuchte Person] Sachen mit sich führt, die sichergestellt werden dürfen."

Auch hier: Nachfragen, was diese "konkreten Tatsachen" sind und sich die Antworten der Polizisten notieren!

Wichtig: So genannte "Kontrollstellen" im Vorfeld von Demonstrationen sind grundsätzlich nicht gestattet - die Polizei darf nur aufgrund der eben genannten Rechtsgrundlage Personenkontrollen durchführen. Systematische Vor-Demo-Kontrollen können abschreckend auf potentielle Demoteilnehmer wirken und sind daher in einer pauschalen, nicht auf den Einzelfall konkretisierten Form, unzulässig!

Siehe auch den Auszug aus dem Hamburger Polizeigesetz weiter unten, dort insbesondere § 12 und § 15!

Siehe auch Hilfe bei Festnahmen durch die Polizei weiter unten.


PLATZVERWEIS - WAS IST DAS UND WAS DARF DIE POLIZEI?


Ebenfalls zur "Gefahrenabwehr" darf die Polizei zeitlich und räumlich befristet einen Platzverweis erteilen.

Wie eben: Genaue Gründe der "Gefahrenabwehr" erfragen und notieren, ebenso Dienstnummern der den Platzverweis erteilenden Polizeibeamten und die genauen Angaben zur räumlichen und zeitlichen Befristung des Verweises. Selbst wenn die Situation hektisch sein sollte, habt ihr das Recht, das zu erfragen und in der notwendigen Ruhe schriftlich zu notieren.

Es gibt zudem das Recht, sich den Platzverweis schriftlich ausstellen zu lassen, denn es ist ja wichtig, genau mitgeteilt zu bekommen, welche Randbedingungen (Begründung, Raum, Zeit) dem Platzverweis zugrundeliegen. Dieser Platzverweis muss zudem unterschrieben sein. Inwiefern diese Praxis in Hamburg durchsetzbar ist, können wir allerdings leider nicht sagen.

Siehe auch den Auszug aus dem Hamburger Polizeigesetz weiter unten, dort § 12a!


UNTERBINDUNGSGEWAHRSAM - WAS IST DAS UND WIE LANGE DARF MICH DIE POLIZEI FESTHALTEN?


Die Polizei darf Menschen kurzzeitig festnehmen und festhalten (also "Einsperren"), zum Beispiel:

  • um Platzverweise durchzusetzen,
  • um Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten erheblicher Bedeutung zu verhindern,
  • falls man in dem Zusammenhang (z.B. bei Wiederholung angeblicher Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten) von der Polizei als "Störer" gebrandmarkt wird oder
  • "um private Rechte" zu schützen.

Diese Gefangennahme muss richterlich bestätigt werden - verlangt energisch danach!

Als Betroffener muss man "unverzüglich die Gelegenheit" eingeräumt bekommen, eine*n Angehörige*n oder einen Menschen des persönlichen Vertrauens anzurufen, solange man durch diesen Anruf keine Straftat befördert oder ermöglicht. Verlangt die Durchsetzung dieses Rechtes, insbesondere dann, wenn man kein eigenes Handy dabei hat, der Akku des eigenen Smartphones runter oder das Prepaid-Konto leer ist!

Ihr habt ein Recht auf gute Behandlung und Unterbringung, die u.a. saubere Toiletten und (je nach Zeitdauer) Verpflegung beinhalten muss.

Solange man nicht aus strafrechlichen Gründen festgehalten wird, muss man spätestens "bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen" freigelassen werden. Falls man "nur" zur Identitätsfeststellung festgenommen wird, darf die Freiheitsberaubung nicht länger als 12 Stunden dauern.

Gedächtnisprotokoll nicht vergessen!

Siehe auch den Auszug aus dem Hamburger Polizeigesetz weiter unten, dort die §§ 13, 13a, 13b und 13c!

Siehe auch Hilfe bei Festnahmen durch die Polizei weiter unten.


RECHTE GEGENÜBER DEN POLIZEIBEAMTEN UND -BEAMTINNEN


Alle Polizeibeamten müssen auf (höfliche und sachliche) Nachfrage hin entweder ihren Namen oder eine Dienstnummer bekanntgeben/mitteilen.

Behandelt die Polizisten und Polizistinnen als Menschen, selbst wenn man sie hinter den Panzerungen und Schutzhelmen nicht als solche erkennen kann ... und selbst dann, wenn euch diese Polizisten ggf. selber nicht würdigen oder fair behandeln!


RECHT AUF FOTOGRAFIEREN


Ihr habt das Recht, Polizisten und Polizistinnen im Rahmen ihrer Handlungen zu fotografieren solange ihr diese Aufzeichnungen nicht unzulässig (z.B. in "sozialen" Netzwerken oder sonstwie auf Internetportalen) verbreitet.

Achtet die Privatspähre und das Recht aufs eigene Bild der Polizisten, aber lasst euch auch andererseits nicht von diesen einschüchtern, deren Handeln in Bild und Ton (unter den eben genannten Bedingungen!) zu dokumentieren, um ggf. der Strafverfolgung damit behilflich sein zu können.

Bitte keine Bilder von Demos veröffentlichen oder an andere versenden, bevor nicht die Gesichter und andere identitätsmarkante sichtbare Merkmale der Menschen zuvor verpixelt oder geblurrt zu haben - das gilt für Demonstranten, Polizisten und Unbeteiligte auf den Fotos gleichermaßen.


WANN DARF DIE POLIZEI MIT VIDEOKAMERAS ODER MIT FOTOAPPARATEN AUFNAHMEN MACHEN?


Die Polizei darf erst dann Bilder und Videos von Demonstrationen oder Demonstranten machen, "wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen."

Auch darf die Polizei mit Hand-Videokameras oder Videokameras auf Polizeiwagen oder an Hubschraubern nicht so umgehen, dass nicht eindeutig erkennbar ist, ob die Kamera aktiv ist oder nicht. Das heißt: Hand-Videokameras müssen nach unten gehalten werden, wenn nicht gefilmt wird. Kameras auf polizeilichen Videoüberwachungsfahrzeugen müssen eingefahren sein, wenn sie nicht filmen. Stationäre Kameras der Polizei müssen für "jedermann" ersichtlich weggeschwenkt oder ganz abgedeckt sein, solange sie nicht filmen!

Wenn ihr also seht, dass die Polizei Videoaufnahmen oder Fotos von einer Demo macht: Auf einen Polizeibeamten (freundlich, sachlich, ruhig) zugehen und nachfragen, wer dafür zuständig ist, nach dem genauen (!) Grund für die Videoüberwachung fragen und sich alle Angaben notieren.

Wichtig: Übersichtsbilder (selbst ohne Aufzeichnung!) wirken auf Demonstranten genau so wie hochauflösende Videobildaufzeichnungen, denn von außen ist nicht erkennbar, in welchem Funktionsmodus sich die Polizeikameras gerade befindet.

Siehe auch den Auszug aus dem Versammlungsgesetz weiter unten, dort § 12a!

Siehe auch Hilfe bei Festnahmen durch die Polizei weiter unten.


INFO: DEMO-VERBOTSZONEN ZUM G20-GIPFEL


Dazu hier die Veröffentlichung der Demoverbotszone (falls sie denn bis zu den Demos nicht höchstgerichtlich gekippt worden ist) sowie eine Grafik dazu.



FORMULAR: GEDÄCHTNISPROTOKOLL


Datum, Uhrzeit: ________________________________________________________

Ort: ___________________________________________________________________

Beteiligte Personen (Polizisten mit Namen oder Dienstnummer, Freunde, Bekannte, Zeugen):

________________________________________________________________________

________________________________________________________________________

________________________________________________________________________

Was ist passiert:

________________________________________________________________________

________________________________________________________________________

________________________________________________________________________


FORMULAR: KONTROLLE GEGEN DIE KONTROLLE


Kontrolle gegen die Kontrolle (Gedächtnisprotokoll zu einer polizeilichen Personenkontrolle)

Datum und Uhrzeit: _____________________________________________________

Rechtsgrundlage der Kontrolle (genauer Paragraph des Gesetzes):

________________________________________________________________________

Namen der kontrollierenden Polizisten und/oder deren Dienstnummern:

________________________________________________________________________

________________________________________________________________________

________________________________________________________________________

Einheit(en) der kontrollierdnen Polizisten:

________________________________________________________________________

Funkname in der Windschutzscheibe:

________________________________________________________________________

Kennzeichen des/der Polizeifahrzeuge:

________________________________________________________________________

Wer hat die Kontrolle angeordnet?

________________________________________________________________________

Dienstgrad(e):

________________________________________________________________________

Widerspruch eingelegt (ja/nein):

Ort der Personenkontrolle:

________________________________________________________________________

________________________________________________________________________

Zeugen:

________________________________________________________________________

________________________________________________________________________

Vorgang:

________________________________________________________________________

________________________________________________________________________

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________________________________________________________________________


HILFE BEI FESTNAHMEN DURCH DIE POLIZEI


Meldungen über Festnahmen und Repressionen können an den Ermittlungsausschuss (EA) gemeldet werden:

+49(0)40 432 78 778

Diese Nummer ist kein Infotelefon!

Der EA hat sogar eine eigene Homepage: https://g20ea.blackblogs.org/

Und einen eigenen Twitter-Account: https://twitter.com/ea_hh


Anwaltlicher Notdienst zum G20-Gipfel 2017 in Hamburg:

040 432 78 778


Infoportal zu den Protesten gegen den G20-Gipfel: http://www.g20hamburg.org/de/

E-Mail-Kontakt: webmaster[aet]g20hamburg.org

PGP-Fingerprint: E88D 96F7 8A18 B330 DA97 34B7 DB38 A94D 8C53 78


AUSZÜGE AUS DEM HAMBURGER POLIZEIGESETZ (SOG HAMBURG)


§ 12 Feststellung der Personalien

(1) Die Verwaltungsbehörden sind berechtigt, eine Person anzuhalten und ihre Personalien festzustellen, wenn es zur Gefahrenabwehr erforderlich ist.

(2) Die angehaltene Person darf zur Dienststelle gebracht werden, wenn ihre Personalien auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden können oder wenn der Verdacht besteht, dass ihre Angaben unrichtig sind.

(3) Der angehaltenen Person dürfen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die zur Feststellung der Personalien erforderlich sind.


§ 12a Platzverweisung

Eine Person darf zur Gefahrenabwehr vorübergehend von einem Ort verwiesen oder ihr darf vorübergehend das Betreten eines Ortes untersagt werden.


§ 13 Gewahrsam von Personen

(1) Eine Person darf in Gewahrsam genommen werden, wenn diese Maßnahme

zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet,

unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern; die Begehung oder Fortsetzung steht insbesondere unmittelbar bevor, wenn die Person früher mehrfach in vergleichbarer Lage bei der Begehung einer derartigen Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit als Störer in Erscheinung getreten ist und nach den Umständen eine Wiederholung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit bevorsteht,

unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach § 12 a durchzusetzen oder

unerlässlich ist, um private Rechte zu schützen, und eine Festnahme der Person nach § 229 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zulässig wäre.

(2) Minderjährige, die sich der Obhut der Sorgeberechtigten entzogen haben, dürfen in Gewahrsam genommen werden, um sie dem Sorgeberechtigten oder dem Jugendamt zuzuführen.

(3) Eine Person, die aus dem Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen, freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung oder einer sonstigen durch richterliche Entscheidung angeordneten oder genehmigten Freiheitsentziehung entwichen ist oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Einrichtung aufhält, darf in Gewahrsam genommen und in die Einrichtung zurückgebracht werden.


§ 13a Richterliche Entscheidung

(1) Wird eine Person auf Grund von § 13 festgehalten, ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit oder Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen. Der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung bedarf es nicht, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung des Richters erst nach Wegfall des Grundes der Maßnahme ergehen würde.

(2) Für die Entscheidung nach Absatz 1 ist das Amtsgericht Hamburg zuständig. Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen vom 29. Juni 1956 (Bundesgesetzblatt III 3161), zuletzt geändert am 24. Juni 1994 (Bundesgesetzblatt I Seiten 1325, 1362), in der jeweils geltenden Fassung. In den Fällen einer nach § 13 Absatz 1 Nummern 2 oder 3 beantragten Freiheitsentziehung ist das Beschwerdeverfahren auch nach Fortfall der Beschwerde zulässig. Für die nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen nach § 13 bleiben die Verwaltungsgerichte zuständig.


§ 13b Behandlung festgehaltener Personen

(1) Wird eine Person auf Grund von § 12 Absatz 2 oder § 13 festgehalten, ist ihr unverzüglich der Grund bekannt zu geben.

(2) Der festgehaltenen Person ist unverzüglich Gelegenheit zu geben, einen Angehörigen oder eine Person ihres Vertrauens zu benachrichtigen; eine Benachrichtigung hat zu unterbleiben, soweit dies zur Verhütung von Straftaten erforderlich ist. Unberührt bleibt die Benachrichtigungspflicht bei einer richterlichen Freiheitsentziehung. Die Verwaltungsbehörde soll die Benachrichtigung übernehmen, wenn die festgehaltene Person nicht in der Lage ist, von dem Recht nach Satz 1 Gebrauch zu machen, und die Benachrichtigung ihrem mutmaßlichen Willen nicht widerspricht. Ist die festgehaltene Person minderjährig, so ist in jedem Fall unverzüglich derjenige zu benachrichtigen, dem die Sorge für die Person obliegt. Das Gleiche gilt für Volljährige, für die ein Betreuer mit dem Aufgabenkreis der Personensorge oder der Aufenthaltsbestimmung bestellt ist.

(3) Die festgehaltene Person soll gesondert untergebracht werden. Männer und Frauen sollen getrennt untergebracht werden. Der festgehaltenen Person dürfen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Freiheitsentziehung oder die Ordnung im Gewahrsam erfordert.


§ 13c Dauer der Freiheitsentziehung

(1) Die festgehaltene Person ist zu entlassen,

sobald der Grund für die Maßnahme weggefallen ist,

wenn die Fortdauer der Freiheitsentziehung durch richterliche Entscheidung für unzulässig erklärt wird,

in jedem Fall spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen, wenn nicht die Freiheitsentziehung auf Grund eines anderen Gesetzes durch richterliche Entscheidung angeordnet oder genehmigt ist.

(2) Eine Freiheitsentziehung zum Zwecke der Feststellung der Personalien darf die Dauer von insgesamt 12 Stunden nicht überschreiten.


§ 14 Sicherstellung von Sachen

(1) Sachen dürfen nur sichergestellt werden, wenn dies erforderlich ist

zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder zur Beseitigung einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung;

zur Verhinderung einer missbräuchlichen Verwendung durch eine in Gewahrsam genommene Person,

zum Schutz des Eigentümers oder des rechtmäßigen Inhabers der tatsächlichen Gewalt vor dem Verlust oder der Beschädigung der Sache.

(2) Über die Sicherstellung ist dem Betroffenen auf Verlangen eine Bescheinigung auszustellen.

(3) Eine sichergestellte Sache wird amtlich oder in sonst zweckmäßiger Weise so lange verwahrt, bis sie an den Berechtigten herausgegeben werden kann, ohne dass die Voraussetzungen für eine erneute Sicherstellung eintreten würden. Die Kosten der Sicherstellung und Verwahrung fallen den nach §§ 8 und 9 Verantwortlichen zur Last. Mehrere Verantwortliche haften als Gesamtschuldner.

(4) Nach Ablauf eines Jahres seit der Sicherstellung darf die Sache verwertet werden. Die Sache darf vorher verwertet werden, wenn der Berechtigte trotz Aufforderung die Sache innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nicht abgeholt oder wenn der Verderb oder eine wesentliche Wertminderung der Sache droht oder ihre Aufbewahrung, Pflege oder Erhaltung mit unverhältnismäßig großen Kosten oder Schwierigkeiten verbunden ist.

(5) Die Sache wird durch öffentliche Versteigerung (§ 383 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches) verwertet. Sie darf in anderer Weise verwertet werden, wenn der Berechtigte sich damit einverstanden erklärt oder wenn die öffentliche Versteigerung aus besonderen Gründen unzweckmäßig ist. Hat die Sache einen Börsen- oder Marktpreis, so ist ihr freihändiger Verkauf (§ 385 des Bürgerlichen Gesetzbuches) zu diesem Preis zulässig. Der Erlös aus der Verwertung ist nach Abzug der Kosten für die Verwahrung und Verwertung an den Berechtigten auszukehren. Der Anspruch auf Auskehrung erlischt drei Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Sache verwertet worden ist.

(6) Eine sichergestellte Sache darf eingezogen, unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden,

wenn die Sache verwertet werden darf, die Verwertung aber nicht möglich ist;

sobald feststeht, dass im Falle der Verwertung die Voraussetzungen für eine erneute Sicherstellung eintreten würden.


§ 15 Durchsuchen von Personen

(1) Eine Person darf durchsucht werden, wenn

sie nach diesem Gesetz oder anderen Rechtsvorschriften festgehalten werden darf,

Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Sachen mit sich führt, die sichergestellt werden dürfen,

sie sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet.

(2) Eine Person, deren Personalien nach diesem Gesetz oder anderen Rechtsvorschriften festgestellt werden soll, darf nach Waffen, anderen gefährlichen Werkzeugen und Explosivmitteln durchsucht werden, wenn dies nach den Umständen zum Schutz von Bediensteten oder eines Dritten gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist.

(3) Personen sollen nur von Personen gleichen Geschlechts oder von Ärzten durchsucht werden; dies gilt nicht, wenn die sofortige Durchsuchung zum Schutz gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist.


§ 22 Androhung unmittelbaren Zwanges

(1) Unmittelbarer Zwang ist vor seiner Anwendung anzudrohen. Von der Androhung kann abgesehen werden, wenn die Umstände sie nicht zulassen, insbesondere wenn die sofortige Anwendung des Zwangsmittels zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr notwendig ist. Als Androhung des Schusswaffengebrauchs gilt auch die Abgabe eines Warnschusses.

(2) Schusswaffen dürfen nur dann ohne Androhung gebraucht werden, wenn dies zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist.

(3) Gegenüber einer Menschenmenge ist die Anwendung unmittelbaren Zwanges möglichst so rechtzeitig anzudrohen, dass sich Unbeteiligte noch entfernen können. Der Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen in einer Menschenmenge ist stets anzudrohen; die Androhung ist vor dem Gebrauch zu wiederholen. Vor dem Gebrauch von technischen Sperren kann von der Androhung abgesehen werden.


§ 23 Fesselung von Personen

Eine Person darf nur gefesselt werden, wenn sie sich im amtlichen Gewahrsam befindet und

die Gefahr besteht, dass sie Personen angreift, Sachen beschädigt, oder wenn sie Widerstand leistet;

sie zu fliehen versucht oder besondere Umstände die Besorgnis begründen, dass sie sich aus dem Gewahrsam befreien wird oder dass ihre Befreiung durch andere Personen zu befürchten ist;

die Gefahr der Selbsttötung oder der Selbstverletzung besteht.


AUSZÜGE AUS DEM FÜR HAMBURG GÜLTIGEN VERSAMMLUNGSGESETZ


In Hamburg gilt das ehemals für ganz Deutschland gültige Versammlungsgesetz (VersG):


Abschnitt I

Allgemeines


§ 1

(1) Jedermann hat das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.

(2) Dieses Recht hat nicht,

1. wer das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes verwirkt hat,

2. wer mit der Durchführung oder Teilnahme an einer solchen Veranstaltung die Ziele einer nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei oder Teil- oder Ersatzorganisation einer Partei fördern will,

3. eine Partei, die nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist, oder

4. eine Vereinigung, die nach Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verboten ist.


§ 2

(1) Wer zu einer öffentlichen Versammlung oder zu einem Aufzug öffentlich einlädt, muß als Veranstalter in der Einladung seinen Namen angeben.

(2) Bei öffentlichen Versammlungen und Aufzügen hat jedermann Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern.

(3) Niemand darf bei öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen Waffen oder sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder zur Beschädigung von Sachen geeignet und bestimmt sind, mit sich führen, ohne dazu behördlich ermächtigt zu sein. Ebenso ist es verboten, ohne behördliche Ermächtigung Waffen oder die in Satz 1 genannten Gegenstände auf dem Weg zu öffentlichen Versammlungen oder Aufzügen mit sich zu führen, zu derartigen Veranstaltungen hinzuschaffen oder sie zur Verwendung bei derartigen Veranstaltungen bereitzuhalten oder zu verteilen.


§ 3

(1) Es ist verboten, öffentlich oder in einer Versammlung Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen.

(2) Jugendverbänden, die sich vorwiegend der Jugendpflege widmen, ist auf Antrag für ihre Mitglieder eine Ausnahmegenehmigung von dem Verbot des Absatzes 1 zu erteilen. Zuständig ist bei Jugendverbänden, deren erkennbare Organisation oder Tätigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt, der Bundesminister des Innern, sonst die oberste Landesbehörde. Die Entscheidung des Bundesministers des Innern ist im Bundesanzeiger und im Gemeinsamen Ministerialblatt, die der obersten Landesbehörden in ihren amtlichen Mitteilungsblättern bekanntzumachen.


Abschnitt II

Öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen


§ 5

Die Abhaltung einer Versammlung kann nur im Einzelfall und nur dann verboten werden, wenn

1. der Veranstalter unter die Vorschriften des § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 fällt, und im Falle der Nummer 4 das Verbot durch die zuständige Verwaltungsbehörde festgestellt worden ist,

2. der Veranstalter oder Leiter der Versammlung Teilnehmern Zutritt gewährt, die Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinne von § 2 Abs. 3 mit sich führen,

3. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf der Versammlung anstreben,

4. Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben.


§ 6

(1) Bestimmte Personen oder Personenkreise können in der Einladung von der Teilnahme an einer Versammlung ausgeschlossen werden.

(2) Pressevertreter können nicht ausgeschlossen werden; sie haben sich dem Leiter der Versammlung gegenüber durch ihren Presseausweis ordnungsgemäß auszuweisen.


§ 7

(1) Jede öffentliche Versammlung muß einen Leiter haben.

(2) Leiter der Versammlung ist der Veranstalter. Wird die Versammlung von einer Vereinigung veranstaltet, so ist ihr Vorsitzender der Leiter.

(3) Der Veranstalter kann die Leitung einer anderen Person übertragen.

(4) Der Leiter übt das Hausrecht aus.


§ 8

Der Leiter bestimmt den Ablauf der Versammlung. Er hat während der Versammlung für Ordnung zu sorgen. Er kann die Versammlung jederzeit unterbrechen oder schließen. Er bestimmt, wann eine unterbrochene Versammlung fortgesetzt wird.


§ 9

(1) Der Leiter kann sich bei der Durchführung seiner Rechte aus § 8 der Hilfe einer angemessenen Zahl ehrenamtlicher Ordner bedienen. Diese dürfen keine Waffen oder sonstigen Gegenstände im Sinne vom § 2 Abs. 3 mit sich führen, müssen volljährig und ausschließlich durch weiße Armbinden, die nur die Bezeichnung "Ordner" tragen dürfen, kenntlich sein.

(2) Der Leiter ist verpflichtet, die Zahl der von ihm bestellten Ordner der Polizei auf Anfordern mitzuteilen. Die Polizei kann die Zahl der Ordner angemessen beschränken.


§ 10

Alle Versammlungsteilnehmer sind verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anweisungen des Leiters oder der von ihm bestellten Ordner zu befolgen.


§ 11

(1) Der Leiter kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen.

(2) Wer aus der Versammlung ausgeschlossen wird, hat sie sofort zu verlassen.


§ 12

Werden Polizeibeamte in eine öffentliche Versammlung entsandt, so haben sie sich dem Leiter zu erkennen zu geben. Es muß ihnen ein angemessener Platz eingeräumt werden.


§ 12a

(1) Die Polizei darf Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei oder im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.

(2) Die Unterlagen sind nach Beendigung der öffentlichen Versammlung oder zeitlich und sachlich damit unmittelbar im Zusammenhang stehender Ereignisse unverzüglich zu vernichten, soweit sie nicht benötigt werden

1. für die Verfolgung von Straftaten von Teilnehmern oder

2. im Einzelfall zur Gefahrenabwehr, weil die betroffene Person verdächtigt ist, Straftaten bei oder im Zusammenhang mit der öffentlichen Versammlung vorbereitet oder begangen zu haben, und deshalb zu besorgen ist, daß von ihr erhebliche Gefahren für künftige öffentliche Versammlungen oder Aufzüge ausgehen.

Unterlagen, die aus den in Satz 1 Nr. 2 aufgeführten Gründen nicht vernichtet wurden, sind in jedem Fall spätestens nach Ablauf von drei Jahren seit ihrer Entstehung zu vernichten, es sei denn, sie würden inzwischen zu dem in Satz 1 Nr. 1 aufgeführten Zweck benötigt.

(3) Die Befugnisse zur Erhebung personenbezogener Informationen nach Maßgabe der Strafprozeßordnung und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten bleiben unberührt.


§ 13

(1) Die Polizei (§ 12) kann die Versammlung nur dann und unter Angabe des Grundes auflösen, wenn

1. der Veranstalter unter die Vorschriften des § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 fällt, und im Falle der Nummer 4 das Verbot durch die zuständige Verwaltungsbehörde festgestellt worden ist,

2. die Versammlung einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer besteht,

3. der Leiter Personen, die Waffen oder sonstige Gegenstände im Sinne von § 2 Abs. 3 mit sich führen, nicht sofort ausschließt und für die Durchführung des Ausschlusses sorgt,

4. durch den Verlauf der Versammlung gegen Strafgesetze verstoßen wird, die ein Verbrechen oder von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben, oder wenn in der Versammlung zu solchen Straftaten aufgefordert oder angereizt wird und der Leiter dies nicht unverzüglich unterbindet.

In den Fällen der Nummern 2 bis 4 ist die Auflösung nur zulässig, wenn andere polizeiliche Maßnahmen, insbesondere eine Unterbrechung, nicht ausreichen.

(2) Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, haben alle Teilnehmer sich sofort zu entfernen.


Abschnitt III

Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge


§ 14

(1) Wer die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, hat dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde unter Angabe des Gegenstandes der Versammlung oder des Aufzuges anzumelden.

(2) In der Anmeldung ist anzugeben, welche Person für die Leitung der Versammlung oder des Aufzuges verantwortlich sein soll.


§ 15

(1) Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

(2) Eine Versammlung oder ein Aufzug kann insbesondere verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn

1. die Versammlung oder der Aufzug an einem Ort stattfindet, der als Gedenkstätte von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert, und

2. nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung konkret feststellbaren Umständen zu besorgen ist, dass durch die Versammlung oder den Aufzug die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.

(3) Sie kann eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht angemeldet sind, wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Absatz 1 oder 2 gegeben sind.

(4) Eine verbotene Veranstaltung ist aufzulösen.


§ 16

(1) Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge sind innerhalb des befriedeten Bannkreises der Gesetzgebungsorgane der Länder verboten. Ebenso ist es verboten, zu öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel oder Aufzügen nach Satz 1 aufzufordern.

(2) Die befriedeten Bannkreise für die Gesetzgebungsorgane der Länder werden durch Landesgesetze bestimmt.

(3) Das Weitere regeln die Bannmeilengesetze der Länder.


§ 17

Die §§ 14 bis 16 gelten nicht für Gottesdienste unter freiem Himmel, kirchliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, gewöhnliche Leichenbegängnisse, Züge von Hochzeitsgesellschaften und hergebrachte Volksfeste.


§ 17a

(1) Es ist verboten, bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel oder auf dem Weg dorthin Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen abzuwehren, mit sich zu führen.

(2) Es ist auch verboten,

1. an derartigen Veranstaltungen in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilzunehmen oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurückzulegen.

2. bei derartigen Veranstaltungen oder auf dem Weg dorthin Gegenstände mit sich zu führen, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern.

(3) Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn es sich um Veranstaltungen im Sinne des § 17 handelt. Die zuständige Behörde kann weitere Ausnahmen von den Verboten der Absätze 1 und 2 zulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht zu besorgen ist.

(4) Die zuständige Behörde kann zur Durchsetzung der Verbote der Absätze 1 und 2 Anordnungen treffen. Sie kann insbesondere Personen, die diesen Verboten zuwiderhandeln, von der Veranstaltung ausschließen.


§ 18

(1) Für Versammlungen unter freiem Himmel sind § 7 Abs. 1, §§ 8, 9 Abs. 1, §§ 10, 11 Abs. 2, §§ 12 und 13 Abs. 2 entsprechend anzuwenden.

(2) Die Verwendung von Ordnern bedarf polizeilicher Genehmigung. Sie ist bei der Anmeldung zu beantragen.

(3) Die Polizei kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschließen.


§ 19

(1) Der Leiter des Aufzuges hat für den ordnungsmäßigen Ablauf zu sorgen. Er kann sich der Hilfe ehrenamtlicher Ordner bedienen, für welche § 9 Abs. 1 und § 18 gelten.

(2) Die Teilnehmer sind verpflichtet, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen des Leiters oder der von ihm bestellten Ordner zu befolgen.

(3) Vermag der Leiter sich nicht durchzusetzen, so ist er verpflichtet, den Aufzug für beendet zu erklären.

(4) Die Polizei kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von dem Aufzug ausschließen.


§ 19a

Für Bild- und Tonaufnahmen durch die Polizei bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen gilt § 12a.


BROKDORF-BESCHLUSS - WICHTIGE PASSAGEN IM ORIGINAL UND IN LEICHTER SPRACHE


ORGINAL DES BROKDORF BESCHLUSSES DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS VOM 14. MAI 1985, AUSZUG DER RANDNUMMERN 61-67


1. Die in den Ausgangsverfahren angegriffenen Maßnahmen sowie die zugrunde liegenden gesetzlichen Vorschriften beschränkten die Beschwerdeführer in der Freiheit, die geplanten Demonstrationen durchzuführen. Diese Freiheit ist in Art. 8 GG gewährleistet, der Versammlungen und Aufzüge - im Unterschied zu bloßen Ansammlungen oder Volksbelustigungen - als Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung schützt. Dieser Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfaßt vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen. Es gehören auch solche mit Demonstrationscharakter dazu, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird. Da in den Ausgangsverfahren Anhaltspunkte dafür fehlen, daß die Äußerung bestimmter Meinungsinhalte - etwa in Aufrufen, Ansprachen, Liedern oder auf Transparenten - behindert werden sollte, bedarf es keiner Prüfung, in welcher Weise bei Maßnahmen gegen Demonstrationen ergänzend zu Art. 8 GG auch das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Prüfungsmaßstab herangezogen werden könnte.
Randnummer 61

2. Als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugute kommt, gewährleistet Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art. und Inhalt der Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben. Schon in diesem Sinne gebührt dem Grundrecht in einem freiheitlichen Staatswesen ein besonderer Rang; das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewußten Bürgers. In ihrer Geltung für politische Veranstaltungen verkörpert die Freiheitsgarantie aber zugleich eine Grundentscheidung, die in ihrer Bedeutung über den Schutz gegen staatliche Eingriffe in die ungehinderte Persönlichkeitsentfaltung hinausreicht. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis war die im naturrechtlichen Gedankengut verwurzelte Versammlungsfreiheit schon früh als Ausdruck der Volkssouveränität und demgemäß als demokratisches Bürgerrecht zur aktiven Teilnahme am politischen Prozeß verstanden worden (vgl. Quilisch, Die demokratische Versammlung, 1970, S. 36 ff.; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, 1975, S. 17 ff.). Diese Bedeutung des Freiheitsrechts wird ebenfalls in den Stellungnahmen des Bundesministers des Innern, der Gewerkschaft der Polizei und des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz hervorgehoben; im Schrifttum wird sie inzwischen durchgängig anerkannt.
Randnummer 62

(Vgl. im einzelnen Blumenwitz, Versammlungsfreiheit und polizeiliche Gefahrenabwehr bei Demonstrationen, in: Festschrift für Samper, 1982, S. 131 [132]; Blanke/Sterzel, Inhalt und Schranken der Demonstrationsfreiheit des Grundgesetzes, Vorgänge 1983, S. 67 [72 ff.]; Denninger, Zwölf Thesen zur Demonstrationsfreiheit, DRiZ 1969, S. 70 ff.; Dietel/Gintzel, Demonstrationsfreiheit und Versammlungsfreiheit, 8. Aufl, 1985, Einl S. 1, RdNr. 18 ff. zu § 1 und RdNr. 7 f. zu § 14 VersG; Frankenberg, Demonstrationsfreiheit - eine verfassungsrechtliche Skizze, Kritische Justiz 1981, S. 370 [371 ff.]; Frowein, Versammlungsfreiheit und Versammlungsrecht, NJW 1969, S. 1081 ff.; Geulen, Versammlungsfreiheit und Großdemonstrationen, Kritische Justiz 1983, S. 189 [192]; Herzog, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grundgesetz 1981, RdNr. 1 ff. zu Art. 8; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 14. Aufl, 1984, S. 157; Hoffmann-Riem, Alternativkommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1984, RdNr. 27 ff. zu Art. 8; v. Münch, Grundgesetzkommentar, 2. Aufl, 1981, RdNr. 1 f. zu Art. 8; Ossenbühl, Versammlungsfreiheit und Spontandemonstration, Der Staat 1971 [10], S. 53 [59 ff.]; Ott, Kommentar zum Versammlungsgesetz, 4. Aufl 1983, S. 27 ff.; Quilisch, a.a.O., S. 108 ff.; P. Schneider, Demokratie in Bewegung, Probleme der Versammlungsfreiheit, in: Festschrift für Mühlmann, 1969, S. 249 [257 f.]; Schwäble, a.a.O., S. 18, 65 ff.)
Randnummer 63

a) In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, die sich bislang mit der Versammlungsfreiheit noch nicht befaßt hat, wird die Meinungsfreiheit seit langem zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gezählt. Sie gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, welches für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend ist; denn sie erst ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform (vgl. BVerfGE 7, 198 [208]; 12, 113 [125]; 20, 56 [97]; 42, 163 [169]). Wird die Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe verstanden, kann für sie nichts grundsätzlich anderes gelten. Dem steht nicht entgegen, daß speziell bei Demonstrationen das argumentative Moment zurücktritt, welches die Ausübung der Meinungsfreiheit in der Regel kennzeichnet. Indem der Demonstrant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgibt, entfaltet auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, wobei die Teilnehmer einerseits in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art. des Auftretens und des Umganges miteinander oder die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Die Gefahr, daß solche Meinungskundgaben demagogisch mißbraucht und in fragwürdiger Weise emotionalisiert werden können, kann im Bereich der Versammlungsfreiheit ebensowenig maßgebend für die grundsätzliche Einschätzung sein wie auf dem Gebiet der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit.
Randnummer 64

b) Die grundsätzliche Bedeutung der Versammlungsfreiheit wird insbesondere erkennbar, wenn die Eigenart des Willensbildungsprozesses im demokratischen Gemeinwesen berücksichtigt wird. Über die freiheitliche demokratische Ordnung heißt es im KPD-Urteil, sie gehe davon aus, daß die bestehenden, historisch gewordenen staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse verbesserungsfähig und verbesserungsbedürftig seien; damit werde eine nie endende Aufgabe gestellt, die durch stets erneute Willensentscheidung gelöst werden müsse (BVerfGE 5, 85 [197]). Der Weg zur Bildung dieser Willensentscheidungen wird als ein Prozeß von "trial and error" beschrieben, der durch ständige geistige AuseinBVerfGE 69, 315 (345)BVerfGE 69, 315 (346)andersetzung, gegenseitige Kontrolle und Kritik die beste Gewähr für eine (relativ) richtige politische Linie als Resultante und Ausgleich zwischen den im Staat wirksamen politischen Kräften gebe (a.a.O. [135]; vgl. auch BVerfGE 12, 113 [125]). An diese Erwägungen knüpft das spätere Urteil zur Parteienfinanzierung an und betont, in einer Demokratie müsse die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt verlaufen; das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußere sich nicht nur in der Stimmabgabe bei Wahlen, sondern auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung, die sich in einem demokratischen Staatswesen frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich "staatsfrei" vollziehen müsse (BVerfGE 20, 56 [98 f.]).
Randnummer 65

An diesem Prozeß sind die Bürger in unterschiedlichem Maße beteiligt. Große Verbände, finanzstarke Geldgeber oder Massenmedien können beträchtliche Einflüsse ausüben, während sich der Staatsbürger eher als ohnmächtig erlebt. In einer Gesellschaft, in welcher der direkte Zugang zu den Medien und die Chance, sich durch sie zu äußern, auf wenige beschränkt ist, verbleibt dem Einzelnen neben seiner organisierten Mitwirkung in Parteien und Verbänden im allgemeinen nur eine kollektive Einflußnahme durch Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit für Demonstrationen. Die ungehinderte Ausübung des Freiheitsrechts wirkt nicht nur dem Bewußtsein politischer Ohnmacht und gefährlichen Tendenzen zur Staatsverdrossenheit entgegen. Sie liegt letztlich auch deshalb im wohlverstandenen Gemeinwohlinteresse, weil sich im Kräfteparallelogramm der politischen Willensbildung im allgemeinen erst dann eine relativ richtige Resultante herausbilden kann, wenn alle Vektoren einigermaßen kräftig entwickelt sind.
Randnummer 66

Nach alledem werden Versammlungen in der Literatur zutreffend als wesentliches Element demokratischer Offenheit bezeichnet: "Sie bieten ... die Möglichkeit zur öffentlichen Einflußnahme auf den politischen Prozeß, zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und Alternativen oder auch zu Kritik und Protest ...; sie enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren" (Hesse, aa0, S. 157; übereinstimmend Blumenwitz, a.a.O. [132 f.]). Namentlich in Demokratien mit parlamentarischem Repräsentativsystem und geringen plebiszitären Mitwirkungsrechten hat die Versammlungsfreiheit die Bedeutung eines grundlegenden und unentbehrlichen Funktionselementes. Hier gilt - selbst bei Entscheidungen mit schwerwiegenden, nach einem Machtwechsel nicht einfach umkehrbaren Folgen für jedermann - grundsätzlich das Mehrheitsprinzip. Andererseits ist hier der Einfluß selbst der Wählermehrheit zwischen den Wahlen recht begrenzt; die Staatsgewalt wird durch besondere Organe ausgeübt und durch einen überlegenen bürokratischen Apparat verwaltet. Schon generell gewinnen die von diesen Organen auf der Grundlage des Mehrheitsprinzips getroffenen Entscheidungen an Legitimation, je effektiver Minderheitenschutz gewährleistet ist; die Akzeptanz dieser Entscheidungen wird davon beeinflußt, ob zuvor die Minderheit auf die Meinungsbildung und Willensbildung hinreichend Einfluß nehmen konnte (vgl. BVerfGE 5, 85 [198 f.]). Demonstrativer Protest kann insbesondere notwendig werden, wenn die Repräsentativorgane mögliche Mißstände und Fehlentwicklungen nicht oder nicht rechtzeitig erkennen oder aus Rücksichtnahme auf andere Interessen hinnehmen (vgl. auch BVerfGE 28, 191 [202]). In der Literatur wird die stabilisierende Funktion der Versammlungsfreiheit für das repräsentative System zutreffend dahin beschrieben, sie gestatte Unzufriedenen, Unmut und Kritik öffentlich vorzubringen und abzuarbeiten, und fungiere als notwendige Bedingung eines politischen Frühwarnsystems, das Störpotentiale anzeige, Integrationsdefizite sichtbar und damit auch Kurskorrekturen der offiziellen Politik möglich mache (Blanke/Sterzel, a.a.O. [69]).
Randnummer 67


BROKDORF-BESCHLUSS IN LEICHTER SPRACHE, AUS DEN RANDNUMMERN 61-62 und 64-67


Im Jahr 1985 gab es ein Gerichts-Prozess. Einige Menschen haben sich darüber beschwert, dass sie nicht protestieren durften. Das Gerichts-Verfahren fand vor dem Bundes-Verfassungs-Gericht statt. Das Bundes-Verfassungs-Gericht in Karlsruhe ist das höchste Gericht in Deutschland.

Es ging um eine Demonstration in Brokdorf in Schleswig-Holstein. Darum heißt das Urteil des Gerichtes "Brokdorf-Beschluss".


(61) In diesem Gerichts-Prozess haben sich Menschen beschwert, sie seien in ihrer Freiheit behindert worden. Es geht besonders um die Versammlungs-Freiheit.

Eine Versammlung ist ein Treffen von Menschen, die anderen Menschen etwas mitteilen möchten. Eine Demonstration ist eine Versammlung. Ein Protest oder eine Mahnwache sind auch eine Versammlung. Im Artikel Nummer 8 unseres Grund-Gesetzes steht, was man unter Versammlungs-Freiheit versteht:

  • GG8(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich zu treffen und zu protestieren. Dazu muss man sich nicht anmelden. Sie dürfen aber nur friedlich und ohne Waffen demonstrieren.
  • GG8(2) Für Demonstrationen im Freien darf man ein besonderes Gesetz erlassen. Dieses Gesetz darf Regeln für eine solche Demonstration aufstellen.

Das Gericht stellt fest: Der Vorwurf stimmt. Die Versammlungs-Freiheit der Ankläger wurde zu sehr behindert. Die Versammlungs-Freiheit sollen aber alle Menschen haben. Das steht im Artikel 8 des Grund-Gesetzes. Versammlungs-Freiheit ist wichtig, damit sich die Menschen austauschen können. Sie hilft den Menschen, sich zu entfalten. Die Versammlungs-Freiheit gilt aber nicht nur dann, wenn sich Menschen unterhalten oder diskutieren. Sie gilt immer, wenn mehrere Menschen ihre Meinung sagen. Es ist den Menschen überlassen, wie sie das tun. Die Versammlungs-Freiheit gilt auch, wenn die Menschen dabei gar nicht reden. Die Menschen sollen besonders geschützt und unterstützt werden, wenn sie als Gruppe ihre Meinung sagen wollen.


(62) Das Recht auf Versammlungs-Freiheit ist ein Grund-Recht. Ein Grund-Recht ist ein besonders wichtiges Recht. Mit dem Grund-Recht auf Versammlungs-Freiheit können sich die Menschen wehren. Besonders Minderheiten können sich damit wehren.

Die Menschen dürfen zum Beispiel selber bestimmen, wo sie demonstrieren. Sie dürfen selber entscheiden, wann sie demonstrieren. Die Menschen dürfen sich aussuchen, wie sie demonstrieren. Über den Inhalt der Demonstration bestimmen nur sie selber. Niemand darf gezwungen werden, an einer Demonstration teilzunehmen. Niemand darf an der Teilnahme an einer Demonstration gehindert werden. Jeder Mensch darf sich ohne Anmeldung mit anderen Menschen treffen und mit diesen demonstrieren. Diese Versammlungs-Freiheit steht für Unabhängigkeit und Selbst-Bestimmtheit der Menschen. Staatliche Behörden müssen sich aus Demonstrationen so weit wie möglich heraushalten.


(64) Jeder Mensch hat das Recht auf freie Rede. Er darf seine Meinung sagen. Er darf seine Meinung schreiben. Er darf seine Meinung auch auf andere Art und Weise ausdrücken. Das alles nennt man Meinungs-Freiheit.

Meinungs-Freiheit ist ein Grund-Recht. Ohne Meinungs-Freiheit gibt es keine Demokratie. Meinungs-Freiheit ist ein Menschen-Recht. Sie steht jedem Menschen zu. Seine Meinung zu sagen ist Teil der menschlichen Persönlichkeit. Erst durch Meinungs-Freiheit entstehen demokratische Gesellschaften. Meinungs-Austausch und Diskussionen sind wichtig für eine Demokratie.

Versammlungs-Freiheit ist die praktizierte Meinungs-Freiheit von mehreren Menschen zusammen. Demonstrationen sind eine Form von umgesetzter Versammlungs-Freiheit. Beim Demonstrieren begeben sich Menschen in die Öffentlichkeit. Beim Demonstrieren und durch das Demonstrieren äußern die Demonstranten ihre Überzeugungen. Demonstrieren lässt die Menschen sich entfalten.

Durch das Demonstrieren bezeugen die Demonstranten ihren Standpunkt. Die Demonstranten nehmen Stellung. Dazu begeben sie sich in die Öffentlichkeit. Die Art des Auftretens der Demonstranten ist Teil der gemeinsamen Meinung-Äußerung. Der Umgang der Demonstranten untereinander ist Teil der gemeinsamen Meinungs-Äußerung. Und die Wahl des Demonstrations-Ortes ist Teil der Meinungs-Äußerung.

Es besteht die Möglichkeit, dass Menschen die Versammlungs-Freiheit missbrauchen. Auf Demonstrationen soll man nicht andere Menschen aufwiegeln. Auf Demonstrationen soll man nicht unsachlich werden. Die Sorge vor Missbrauch darf die Versammlungs-Freiheit aber nicht grundsätzlich beeinträchtigen. Auch Meinungs-Freiheit darf man aus Angst vor Missbrauch nicht grundsätzlich beeinträchtigen. Und auch die Freiheit der Presse darf man aus Angst vor Missbrauch nicht grundsätzlich beeinträchtigen.


(65) Die Versammlungs-Freiheit hat eine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist wichtig für die Willens-Bildung in einer Demokratie. Vor vielen Jahren hat das Bundes-Verfassungs-Gericht ein Urteil gefällt, in dem es um das Verbot einer Partei ging. Das Gericht hat gesagt:

Eine Gesellschaft ist eine zusammen lebende Gruppe von Menschen. Ein Staat ist eine Form einer Gesellschaft. Die Verhältnisse in einer Gesellschaft hängen von ihrer Geschichte ab. Die Verhältnisse in einer Gesellschaft hängen von ihrer vorherigen Entwicklung ab. Diese Verhältnisses können immer weiter verbessert werden. Diese Verhältnisse sollten immer weiter verbessert werden. Die Menschen in der Gesellschaft müssen gemeinsam über die Verbesserungen nachdenken. Dazu müssen sie einen gemeinsamen Willen entwickeln. Diesen Prozess nennt man Willens-Entscheidung.

Die Menschen einer Gesellschaft entscheiden sich für einen gemeinsamen Weg. Manchmal führt das zu einer Verbesserung der Verhältnisse. Aber manchmal verschlechtern sich die Verhältnisse dadurch. Dann wird ein besserer Weg gesucht. Diesen Prozess nennt man "trial and error". "Trial and error" ist englisch und heisst auf deutsch: "Versuch und Irrtum".

Zur Willens-Entscheidung einer Gesellschaft gehören Diskussionen. Zur Willens-Entscheidung gehören gegenseitige Kontrolle und Kritik. In einer Gesellschaft von vielen Menschen gibt es viele verschiedene Kräfte. Manche Gruppen von Menschen haben besonders viel Einfluß auf die Gesellschaft. Andere Gruppen von Menschen oder Einzelne haben weniger Einfluß.

Das Bundes-Verfassungs-Gericht sagt:

Die Menschen einer Gesellschaft sollen zusammen einen gemeinsamen Willen bilden. Die Willens-Bildung darf aber nicht von den Staats-Organen bestimmt werden. Der Bundestag ist ein Staats-Organ. Ein Ministerium oder eine Behörde sind Staats-Organe. Bundeskanzler, Bundespräsident die Regierung und das Bundes-Verfassungs-Gericht sind auch Staats-Organe. Bei der Willens-Bildung einer Gesellschaft sollen diese Staats-Organe weniger wichtig sein als die Menschen in der Gesellschaft.

Die Menschen dürfen die Bundesregierung und den Bundestag wählen. Das reicht zur Willens-Bildung aber nicht aus. Die Menschen sollen sich ständig in die Meinungs-Bildung einmischen. Aus der Bildung einer Meinung erwächst die Willens-Bildung. Die Meinungs-Bildung muss frei sein. Die Meinungs-Bildung muss offen passieren. Die Meinungs-Bildung darf nicht durch Vorschriften oder Regeln beschränkt werden. Die Meinungs-Bildung muss staats-frei passieren. Das heißt: Die Staats-Organe müssen sich aus der Meinungs-Bildung heraushalten.


(66) Menschen beteiligen sich unterschiedlich stark an der gemeinsamen Meinungs-Bildung. Manche großen Verbände oder Vereine können großen Einfluß auf die Meinungs-Bildung ausüben. Menschen mit viel Geld und große Zeitungen oder Fernsehsender können auch viel Einfluß haben. Nur wenige Menschen bekommen eine Gelegenheit zur Äußerung ihrer Meinung in Zeitung, Radio und Fernsehen.

Dem gegenüber erlebt sich der einzelne Mensch als machtlos und verloren. Er kann sich in Parteien und in Gruppen oder Vereinen engagieren. Dadurch kann er manchmal seine Meinung in die Diskussion einbringen. Aber die Chancen auf Mitwirkung sind in solchen Verbänden beschränkt. Dann bleibt nur noch die Beteiligung an einer Demonstration. Eine Demonstration ist die kollektive Nutzung der Versammlungs-Freiheit. Mit einer Demonstration nimmt man Einfluß.

Wenn die Versammlungs-Freiheit ernst genommen und durchgesetzt wird spricht man von unbehinderten Demonstrationen. Unbehinderte Demonstrationen helfen gegen Ohnmacht. Schlechte Erfahrungen mit dem Staat und den Staats-Organen führen zu Verdrossenheit und Frust. Verdrossenheit und Frust können gefährliche Folgen bewirken. Unbehinderte Demonstrationen wirken gegen Staats-Verdrossenheit und Frust.

Deswegen ist die Versammlungs-Freiheit so wichtig. Mit unbehinderten Demonstrationen kann ein Ausgleich für ansonsten ungerechte Macht-Verhältnisse geschaffen werden.


(67) Demonstrationen sind ein wichtiger Teil einer demokratischen Gesellschaft. Demonstration erzeugen in einer Gesellschaft Offenheit für Veränderungen. Demonstrationen beeinflussen politische Prozesse. Demonstrationen enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter Demokratie. Demonstrationen können den Politik-Betrieb vor der Erstarrung in geschäftiger Routine bewahren.

Demonstrationen sind ein grundlegendes und unentbehrliches Funktionselement einer Demokratie. In einer Demokratie gilt einerseits das Mehrheits-Prinzip. Die Menschen wählen das Parlament. Im Parlament bildet sich eine Mehrheit. Diese Mehrheit bildet die gewählte Regierung. Die Regierung erlässt für alle in dem Staat geltende Gesetze. Die Gesetze gelten für alle Menschen in diesem Staat. Die Regierung organisiert und bestimmt die Staats-Organe.

Die Staats-Organe und die Bürokratie haben viel Macht. Zwischen den Wahlen haben die Bürger nur noch wenig Einfluß. Minderheiten haben ebenfalls nur einen geringen Einfluß. Die Entscheidungen der Regierung und das Tun der Staats-Organe müssen für einen Schutz der Minderheiten sorgen. Wenn die Entscheidungen der Regierung und das Tun der Staats-Organe von den Menschen nicht akzeptiert werden, sind sie wirkungslos.

Deswegen müssen Minderheiten auf Meinungs-Bildung und Willens-Bildung einen gewissen Einfluß ausüben können. Demonstrationen sind dafür hilfreich. Mit Demonstrationen können die Menschen auf Fehler und auf schlechte Enscheidungen und Entwicklungen aufmerksam machen. Demonstrationen können Druck auf Regierung und Staats-Organe ausüben. Demonstrationen stabilisieren die Demokratie. Demonstrationen wirken wie ein politisches Früh-Warn-System. Demonstrationen zeigen Probleme und Störungen an. Demonstrationen machen Integrations-Defizite sichtbar. Demonstrationen machen eine Kurs-Korrektur der offiziellen Politik möglich.


KONTAKT ZUR VERSAMMLUNGSBEHÖRDE HAMBURGS


Behörde für Inneres und Sport
Polizei
Versammlungsbehörde / DE 24
Bruno-Georges-Platz 1
22297 Hamburg
Tel.: 040 / 4286 – 22410 oder 4286 - 22400
Fax: 040 / 4286 – 66039
E-Mail: lagezentrum@polizei.hamburg.de

Homepage zur Demoanmeldung: http://www.polizei.hamburg/service/6160774/versammlungsbehoerde-/


UND NOCH EINE ANMERKUNG VON OSKAR NEGT ...


"Ich bin der Auffassung, daß Demonstrationen in unserer Gesellschaft, die dem spontanen Ausdruck unmittelbarer Interessen und Bedürfnisse dienen, für viele Menschen, die in Objektrollen dieser Gesellschaft gedrängt werden, nichts Geringeres als Lebens- und Überlebenschancen darstellen.
Man weiß, daß erzwungene Passivität auf Dauer krank macht. Der aktive Umgang mit der Realität, der spontane Ausdruck von eigenen Bedürfnissen, das sind identitätsbildende Elemente und kein Luxus, auf den man auch verzichten könnte.
Umgekehrt sind Zerstörungen und Einschränkungen dieser wenigen Möglichkeiten, sich kollektiv und öffentlich auszudrücken, unweigerlich mit Persönlichkeitszerstörung verknüpft, ganz abgesehen von dem miserablen Zustand, in den ein demokratisches Gemeinwesen dadurch geraten muß. Demonstrationen bezeichnen nicht einfach das, was willentlich hergestellt wird von einigen, die man dann als Demonstrationstäter dingfest macht, sondern verweisen auf einen notwendigen Ausdruck von Lebensbedürfnissen in einer Gesellschaft, die total mediatisiert ist; die mediatisiert ist durch ein geschlossenes Geflecht von Institutionen, durch Parteien, durch den Staat, durch repräsentative Öffentlichkeit. Und man stelle sich einmal vor, daß jemand, der in dieser Gesellschaft eine schreiende Ungerechtigkeit erfährt und feststellt, daß viele andere ganz ähnlich empfinden, sich mit diesen zusammentut, um das Problem öffentlich zu machen und eventuell Veränderungen an den Verhältnissen zu bewirken, jetzt etwas ganz Unerwartetes zusätzlich erfahren muß. Das Unrecht verband er mit der gesellschaftlichen Realität. Und jetzt würde es naheliegen, die Realität zu verändern oder wenigstens aufmerksam nachzuforschen, was veränderungswürdig ist.
Stattdessen kommt ein Großaufgebot von Polizei und besetzt diese Realität, die alleine schon ausreichend ist, Angst zu verbreiten, mit hoheitlichen Symbolen, verleiht ihr gewissermaßen einen öffentlich-rechtlichen Status, der zusätzlich einschüchtert und zwangsläufig die Kriminalisierung des Protestverhaltens erweitert. Die bereits vorhandene Ohnmacht der Demonstranten wird dadurch verstärkt, und wir wissen, daß es häufig Ohnmachtsreaktionen sind, die sich in Gewalt Luft machen."

Aus: Tagungsband der Evangelischen Akademie Loccum „Die Realisierung eines Grundrechts – Zur Diskussion über das Demonstrations- und Versammlungsrecht“, Rede von Oskar Negt vom 4. November 1981

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Zuletzt geändert am 03.07.2017 11:07 Uhr