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Gerichtsentscheidung-Megaphonverbot-bei-Demo-war-rechtswidrig

10 A 6419 / 12

Worum geht es?


Einem am 13.10.2012 in Hannover stattgefundenen Protest gegen die Vorratsdatenspeicherung hatte die Polizei Hannover verboten, ein Megaphon zu benutzen.

Der Versammlungsanmelder hat das nicht hingenommen und den Fall vor Gericht gebracht.

Das Gericht hat die Polizei einsehen lassen, dass das Megaphonverbot rechtswidrig gewesen ist und die Versammlungsfreiheit unzulässig hat verkümmern lassen.

Aus den Gerichtsakten ging überdies jedoch unerwartet hervor, wie sehr die Polizei diesen Protest überwacht, in Polizeiakten bewertet und gespeichert hat und an mehrere Stellen innerhalb des niedersächsischen Polizeiapparats weiterverteilt hat.

15.12.2014 - Unser Blogbeitrag dazu


Erfolg vor Gericht: Polizeiliches Verbot der Benutzung eines Megaphons auf einer Demo war rechtswidrig

Verfahren offenbart den Umfang polizeilicher Beobachtung, Bewertung und Speicherung politischer Demonstrationen

Ein in der niedersächsischen Landshauptstadt von der dortigen Polizeidirektion Hannover häufig und gerne erteiltes Megaphonverbot für kleine Demonstrationen in der Innenstadt wurde vom Verwaltungsgericht Hannover nun in einem konkret untersuchten Einzelfall:

Darüber hinaus wirft eine Akteneinsicht in dieses Verfahren viele Fragen an die Polizei in Niedersachsen, denn offenbar wird, in welchem Umfang die Behörde selbst kleine Demonstrationen zu "überwachen" scheint (Original-Wortwahl aus den Polizei-Dokumenten!) und eigene "Reports" und "Verlaufsberichte" an eine Vielzahl von Polizeistellen weiterverteilt.


Doch zunächst zum Gerichtsurteil bzw. genauer gesagt, zur Entscheidung des Gerichts:

Die Richterin des Gerichts erläuterte dieses dem anwesenden Polizeijuristen und legte ihm nahe, das doch selber einzusehen und einzuräumen. Und so musste die Polizei Hannover ganz offensichtlich eher weniger als mehr freiwillig ihre unzulässige Beschränkung und Beschneidung des Versammlungs-Grundrechts bei einer Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung im Oktober 2012 zugeben.

Der die Polizeidirektion Hannover vertretende Oberregierungsrat erklärte vor Gericht,

  • das von ihr erteilte Megaphonverbot war rechtswidrig,
  • man werde in Zukunft - offenbar anders als in diesem Fall - vor der Erteilung eines solchen Megaphonverbots in jedem Einzelfall prüfen, ob so ein Verbot den vom Verwaltungsgericht Hannover in 2006 augestellten engen Grenzen gerecht werde,
  • dass die Polizeidirektion Hannover sämtliche Gerichtskosten übernimmt.

Daraufhin erklärte der sich selber verteidigende Kläger diesen Fall für erledigt, weil aus juristischer Sicht kein weitergehender Erfolg mehr möglich war.

Ohne diesen Erfolg der Zurechtrückung polizeilicher, pauschaler und damit willkürlicher und unrechtmäßiger Herabsetzung des Demonstrations-Grundrechts schmälern zu wollen, bleibt skeptisch abzuwarten, ob und nach welcher Praxis die Polizei Hannover zukünftig Megaphonverbote austeilen wird und ob das Urteil schlimmstenfalls nicht dazu führen wird, dass die Versammlungsbehörde weitere Textbausteine für mehr oder minder pauschale Demonstrationsauflagen erstellen und austeilen wird.

Der Kläger kündigte vor Gericht an, diese polizeiliche Praxis im Blick zu behalten und auch dann Klage einlegen zu wollen, wenn er selber auch "nur" als Demonstrationsteilnehmer zu Unrecht in seinem Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung beschnitten werden würde. Man wird sehen.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die Polizei im Vorlauf dieses Gerichtsprozesses versucht hatte, die Klage insgesamt mit der Begründung aus den Angeln zu heben, dass doch gar keine "Fortsetzungsfeststellungsinteresse" bestehe. Mit anderen Worten ausgedrückt: Dass es doch eigentlich egal sei, ob das Megaphonverbot in diesem Fall rechtswidrig gewesen oder nicht, weil sich so ein Fall gar nicht wiederholen würde. Ein mehr als fragwürdiges Selbstverständnis der Polizei Hannover!


Neben all diesen Sachfragen eröffnete dieses Verfahren ganz nebenbei aber auch einen Blick in noch ganz andere Untiefen des niedersächsischen Polizeiapparats:

Bei einer Einsicht in die gerichtlichen Akten offenbarte sich, in welchem Umfang die Polizei selbst kleine Demonstrationen mit - wie in diesem Fall - nur rund 30 Teilnehmern überwacht, beobachtet, bewertet und all diese Informationen in polizeiliche Datenbanken einspeist und an eine große Zahl von internen Polizeistellen weiterverteilt. Und dass die Polizei Hannover sich nicht zu schade war, dem Gericht zensierte, in Teilen geschwärzte Polizeiakten zur Verfügung zu stellen!

Wir dokumentieren hier einen anonymisierten Auszug aus den Polizeiakten zu der am 12. Oktober 2012 in Hannover stattgefundenen Protest-Mahnwache "Wir zeigen der Vorratsdatenspeicherung die rote Karte!".

Zunächst ein in Teilen geschwärzter Mail-Verteiler-Dokumentation der Polizeidirektion sowie ein (ebenfalls teilgeschwärzter) 3seitiger "Verlaufsbericht" der Polizei:

  • Das erste Blatt stellt die Dokumentation der Weiterverteilung von Demonstrations-Daten und -Bewertungen an insgesamt sechs unterschiedliche Stellen der niedersächsischen Polizei dar. Drei der Empfänger-Mail-Adressen wurden dem Verwaltungsgericht gegenüber geschwärzt.
  • Ebenfalls derart weiterverteilt wurde der Flyer zur Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung.
  • Geschwärzt wurde ferner, wie viele Polizisten zur "Überwachung" der Demo eingesetzt worden sind und über welchen Zeitraum sich diese Überwachung erstreckt hat (siehe Blatt rechts oben im Bild).
  • Wozu ist generell ein mehrseitiger "Verlaufsbericht" einer Demonstration nötig und zulässig, wenn diese doch - wie von der Polizei selber bestätigt - störungsfrei verlief?
  • Was ist die Rechtsgrundlage für eine von der Polizei durchgeführte Überwachung und subjektive Bewertung ("geringes bis kein Interesse der Bevölkerung") einer Demonstration durch die Polizei?
  • Und warum ist es für die Polizei wichtig, zu ermitteln und zu erfassen, ob und welche oder wie viele "Medienvertreter" bei einer Demo anwesend sind?

Dann gibt es noch einen weiteren, nochmals 3seitigen "Report" über den Vorgang der Demo-Anmeldung und des Demo-Ablaufs:

Ausschnitte daraus:

  • "Eine Überwachung der Kundgebung erfolgte im Rahmen der Streife."
  • "Es wurden anlaßbezogene Flyer verteilt, ..."
  • "Vorhandene Kameras wurden auf unsere Veranlassung durch die LFZ weggeschwenkt ..."
  • "Im Rahmen der Überwachung der Kundgebung konnten 7 Personen festgestellt werden, die mit Überzügen (Westen) der "Piratenpartei" ausgestattet waren."

Es ist bemerkenswert, wie selbstverständlich dieser kleine Protest polizeilich "überwacht" worden ist.

Die Behauptung, dass die Polizeikamera auf Veranlassung der Polizei selber weggeschwenkt worden ist, ist zudem schlichtweg falsch: Die Polizeikamera am Kröpcke (Fußgängerzonen-Innenstadtplatz in Hannover) filmte die Demo ab und wurde erst auf Hinweis des Versammlungsleiters an die Polizei mit einiger zeitlicher Verzögerung weggeschwenkt.

Und warum erfasst die Polizei, ob und in welcher Anzahl Parteien an der Demonstration teilnehmen?

Was ist der Grund und die Rechtsgrundlage des "Fernschreibens nihmi 163324:1310j" (siehe erste Seite des vorherigen Bildes)? Warum also werden alle diese Informationen an insgesamt sechs weitere Polizei-Abteilungen weitergeleitet und in welcher Form und in welchem Umfang werden die Demo-Daten in Niedersachsen dort oder woanders gespeichert, etwa sogar zentral erfasst und registriert?

23.12.2014 - Das Verwaltungsgericht zu den Schwärzungen


Auf Nachfrage zur Rechtmäßigkeit der polizeilichen Schwärzungen in den Gerichtsakten teilt das Verwaltungsgericht Hannover mit:

Oder zusammengefasst:

  • Die Akten mit den Schwärzungen sind inzwischen an die Polizei zurückgegeben worden.
  • Es sei "zweifelhaft", ob es eine für die Schwärzungen notwendige Sperrerklärung gegeben hat.
  • Die geschwärzten Akten seien nicht für die Entscheidung des Verfahrens relevant gewesen.
  • Bei weiteren Fragen sollen wir uns direkt an die Polizei Hannover wenden.

Also senden wir den Brief ab, den wir schon vorbereitet hatten und der eben diese Nachfrage beinhaltet:

23.12.2014 - Nachfragender Brief an die Polizei Hannover


Sehr geehrte Damen und Herren,
die im Rahmen eines Gerichtsprozesses offenkundig gewordene polizeiliche Überwachung, Bewertung und Registrierung einer kleinen Demonstration, siehe hier
beschäftigt uns.
Wir haben dazu ein paar Fragen und möchten um deren Beantwortung bitten.
Wenn Sie wünschen, können wir in diesem Fall gerne den probehalber auch telefonieren - dann könnten Sie sich u.U. die Schreibarbeit ersparen. Falls Ihnen das lieber ist, geben Sie einfach Bescheid, wann und unter welcher Nummer sich jemand von uns bei Ihnen melden soll.
Unsere Fragen:
1.) Warum erfolgte eine teilweise Schwärzung des Verteilerprotokolls nihmi 163324:1310 zur Vorlage vor Gericht?
2.) Warum erfolgte eine teilweise Schwärzung der ersten Seite des Verlaufsberichts zur Demonstration am 13.10.2012 in den dem Verwaltungsgericht vorgelegten Dokumenten?
3.) Warum wurde zu den erfolgten Schwärzungen (bzw. de facto waren es "Weißungen") in den Gerichtsakten keine Sperrerklärung entsprechend § 99 VwGO abgegeben?
4.) Ist es üblich, dass von angekündigten Versammlungen ein "Verlaufsbericht" erstellt wird oder genauer: In wie vielen Fällen war das in 2013 der Fall bei wie vielen Versammlungen im Verantwortungsbereich der Polizeidirektion Hannover bzw. der dort integrierten Versammlungsbehörde Hannover insgesamt?
5.) Warum werden die Versammlungsanmelder und -teilnehmer nicht über die Anfertigung eines Verlaufsberichts informiert?
6.) Was begründet die Erfassung und Speicherung des Umstands, ob und wie viele Vertreter von politischen Parteien anwesend sind?
7.) Ist es üblich, dass von angekündigten Versammlungen ein "Report" erstellt wird oder genauer: In wie vielen Fällen war das in 2013 der Fall bei wie vielen Versammlungen im Verantwortungsbereich der Polizeidirektion Hannover bzw. der dort integrierten Versammlungsbehörde Hannover insgesamt?
8.) Warum werden die Versammlungsanmelder und -teilnehmer nicht über die Anfertigung eines Reports informiert?
9.) Was begründet die Erfassung und Speicherung des Umstands, ob und wie viele oder welche Medienvertreter anwesend sind?
10.) Aus welchen Gründen erfolgte in diesem Fall der Demo - anders als im Report unrichtigerweise behauptet - erst nach Aufmerksam-Machung und auf Veranlassung des Versammlungsleiters ein Wegschwenken der polizeilichen Überwachungskamera am Kröpcke?
11.) In welchem zeitlichen Umfang haben die beiden Streifenpolizisten von "Hanno 2520" die Demonstration am 13.10.2014 überwacht?
12.) Warum erfolgte eine Weiterleitung von Report und Verlaufsbericht an das Landeskriminalamt Niedersachsen, an wen dort genau und auf welcher Rechtsgrundlage beruht diese Datenübertragung?
13.) Warum erfolgte eine Weiterleitung von Report und Verlaufsbericht an die Zentrale Polizeidirektion Niedersachsen, an wen dort genau und auf welcher Rechtsgrundlage beruht diese Datenübertragung?
14.) An welche vier anderen Stellen erfolgte die Übermittlung von Report und Verlaufsbericht weiterhin im Detail - was verbirgt sich also hinter den Kennungen "ked" und "zkd-h" in den bekannt gewordenen E-Mail-Adressen, wer oder was verbirgt sich hinter "hannover im" und nienburg pa". Warum erfolgten diese Datenübertragungen und auf welcher Rechtsgrundlage beruhen diese?
15.) In welchen Datenbanken wurden o.g. Report und Verlaufsbericht oder Informationsverarbeitungen hieraus gespeichert und aufgrund welcher jeweiligen Rechtsgrundlage ist das erfolgt?
Es tut uns leid, erneut mit diesen Fragen Arbeit zu bereiten. Wir bitten aber um Verständnis dafür, dass wir diese aus unserer Sicht dringenden Fragen geklärt haben möchten.
Wie gewohnt handelt es sich hierbei um eine offene Presseanfrage.
Viele gute Grüße von den Menschen von freiheitsfoo.

(Dieser Brief ist auch als PDF-Datei verfügbar.)


25.6.2015 - Die Polizei antwortet ... oder auch nicht!


Ein halbes Jahr läßt die Polizei nichts von sich hören. Und dann das:

o_O


7.7.2015 - Wir fragen noch einmal höflich bei der Polizei Hannover um Antwort nach


Sehr geehrte Damen und Herren,

Ihr Schreiben vom 22.6.2015 haben wir wie bekannt erhalten. Darin geben Sie an, unsere teilweise weit über ein Jahr alte Anfragen zu beantworten. Es wird Sie vermutlich nicht überraschen, dass wir die "Antworten" als inakzeptabel bewerten.

So haben Sie die Anfragen vom 26.2.2014, 11.8.2014, 26.8.2014, 11.9.2014, 15.9.2014, 11.10.2014, 27.10.2014 und 17.6.2015 bezüglich der polizeilichen Videoüberwachungsanlagen und die Fragen vom 23.12.2014 zur Praxis der Demo-Verlaufsberichterstattung und der erfolgten Schwärzungen in Gerichtsakten hierzu im wesentlichen einfach ignoriert und in keinster Weise beantwortet.

Aus unserer Sicht handelt es sich bei unseren Anfragen um presserechtliche Anfragen. Wir sind weiter der Meinung, dass es ein gewisses öffentliches Interesse an einer ordentlichen Beantwortung gibt. Wir sehen Sie daher in einer gewissen rechtlichen Auskunftsverpflichtung. Sofern Sie hierzu eine andere Auffassung vertreten, bitten wir um Mitteilung und um eine Begründung Ihres Standpunktes, damit wir diesen nachvollziehen können.

Wir haben stets versucht, Ihnen bei unseren Fragen sachlich, höflich und freundlich zu begegnen. Sollte das aus Ihrer Sicht nicht der Fall gewesen sein, tut es uns leid, bitten zugleich aber um genaue Verweise, wo wir diesen Anspruch nicht erfüllt haben, damit wir daraus für die Zukunft lernen können.

Mit diesem Brief möchten wir Sie bitten, zu den beiden o.g. Anfragen Antworten nachzureichen. Oder zumindest zu begründen, warum Sie uns hierzu keine Antworten und Informationen mitteilen möchten.

Eine konstruktive und faire Zusammenarbeit ist uns wichtig. Wir haben viel Geduld bei der Beantwortung von Sachfragen gehabt und bitten nun auch um ein Entgegenkommen Ihrerseits.

Viele gute Grüße von den Menschen von freiheitsfoo.


21.7.2015 - Rückmeldung der Polizei Hannover zu unserem letzten Brief


Kategorie(n): Urteil Versammlungsfreiheit

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Zuletzt geändert am 22.07.2015 14:32 Uhr