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Alle Inhalte dieses Wikis, soweit nicht anders angegeben, unter Creative Commons CC-BY-SA

Sitzblockaden

Worum geht es hier?


Blockaden, wie z.B. Sitzblockaden können unter bestimmten Umständen eine Form von Protest und Demonstration, auch im Sinne der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes sein.

Die bisherige Rechtssprechung zur Bewertung von Blockadeaktionen ist komplex und sowieso muss jeder Blockadeprotest auch im Einzelfall genau angeschaut werden, eine pauschale Verurteilung oder Befürwortung von Blockaden erscheint schwierig.

Um ein wenig Aufklärung für Interessierte zu leisten, haben wir auf diesen Seiten ein paar Informationen zusammengetragen.

Grundsätzlich gilt: Blockieren geht nur nach guter vorheriger Überlegung und Reflektion des/der Einzelnen, andere zu Blockaden ohne eine solche Selbstvergewisserung zu animieren, halten wir für nicht richtig.

Rechtsinfos von der Büchel-Aktionsgruppe 2015


Hinweis: Die folgenden Textausschnitte entstammen den Rechtshilfeseiten der Büchel-Aktionsprogramms 2015: http://www.buechel-atomwaffenfrei.de/buechel65/info/rechts-info/, diese Texte stehen unter Creative Commons Lizenz CC-BY-NC-SA

2. Gewaltfreie Sitzblockaden, ohne oder mit Einhaken oder Anketten

Wenn du dich an einer gewaltfreien Sitzblockade beteiligst, die eine Verkehrsbehinderung bezweckt, kann das von der Rechtsprechung als Ordnungswidrigkeit (siehe Punkt 12), unter Umständen aber auch als Straftat (siehe Punkt 11) angesehen werden. Letzteres wird z.B. der Fall sein, wenn sich die Blockierenden anketten oder technische Hindernisse schaffen, oder wenn die Blockade länger als ein paar Minuten dauert und kein zumutbarer Umweg für die Blockierten zur Verfügung steht. In solchen Fällen musst du mit einer Verurteilung wegen Nötigung nach §240 des Strafgesetzbuchs (StGB) rechnen. Darüber hinaus ist es möglich, dass die Polizei, nachdem sie dich bei einer Blockade geräumt hat, dir eine Rechnung über die Polizeieinsatzkosten schickt (siehe Punkt 13). Wenn sich die BlockiererInnen bei der Räumung gegenseitig einhaken, kann auch das als Straftat gewertet werden, nämlich als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§113 StGB).

Bisher wurden von der GAAA fünf Blockadeaktionen in Büchel (mit)organisiert. Bei der ersten am 1.9.2003 wurden drei der neun Tore des Fliegerhorsts blockiert. Die Polizei ließ die BlockiererInnen an zwei Toren unbehelligt und räumte nur die am dritten Tor von der Fahrbahn, stellte aber nicht ihre Personalien fest. Die Aktion hatte also keine juristischen Folgen.

Bei der zweiten Blockade in Büchel zehn Jahre später wurden am 11./12. August 2013 alle neun Tore für knapp 24 Stunden blockiert. In dieser Zeit gab es nur ein Mal eine Räumung an einem Tor, das nur für FußgängerInnen benutzbar war; es wurde niemand festgenommen. Nur einer von uns wurde wegen der Aktion strafverfolgt, jedoch nicht, weil er an der Blockade teilgenommen hatte, sondern weil er vorher mit Flugblättern zur Teilnahme aufgerufen hatte. Das wurde in einer ersten Gerichtsverhandlung als Aufruf zu Straftaten gewertet. Das Gericht sah die Blockade unter anderem wegen der so genannten “Zweite-Reihe-Rechtsprechung” als strafbare Nötigung an. Diese besagt folgendes: Die Sitzblockade vor einem einzelnen Fahrzeug bedeutet eine psychische Einwirkung auf die Fahrerin/den Fahrer. Es ist keine unüberwindbare physische Einwirkung, denn theoretisch könnte das blockierte Fahrzeug über die Sitzenden hinwegfahren. Die psychische Einwirkung kann nicht als Gewalt und folglich nicht als Nötigung ausgelegt werden. Ist jedoch ein zweites Fahrzeug betroffen und evtl. auch weitere Fahrzeuge, die hinter dem blockierten ersten halten müssen, so stellt das erste Fahrzeug für die dahinter stehenden ein unüberwindbares physisches Hindernis dar. Eine solche Blockade wird laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als gewalttätiges Einwirken gewertet und somit als Nötigung und somit als Straftat. Das Bundesverfassungsgericht hat diese “Zweite-Reihe-Rechtsprechung” im März 2011 bestätigt. Warum trotzdem keineR der BlockiererInnen vom 11./12.8.2013 strafverfolgt wurde, sondern nur der eine Blockade-Aufrufer, ist eine andere Frage.

(...)

Stand der Dinge (Januar 2015) ist also, dass es wegen Teilnahme an einer Blockade in Büchel noch keine Gerichtsverhandlung gegeben hat, jedoch in diesem Jahr eine zu erwarten ist. Wegen Aufrufs zu einer Büchel-Blockade gab es bisher zwei Gerichtsverhandlungen mit unterschiedlichen Urteilen (Verurteilung und Freispruch, beides nicht rechtskräftig). (...)

Übrigens kann auch schon das Trainieren von Blockade-Taktiken als rechtswidrig angesehen werden. Jedenfalls hat das Verwaltungsgericht Aachen in einem Urteil, das im Juli 2011 veröffentlicht wurde, so entschieden. Damals hatte der Aachener Polizeipräsident eine Versammlung verboten, in der Blockaden einer Kundgebung von Rechtsextremen trainiert werden sollten. Das Gericht gab ihm recht.

3. Straftaten und Ordnungswidrigkeiten


Ordnungswidrigkeiten können mit Geldbußen, Straftaten mit Geld- oder Freiheitsstrafen geahndet werden. Wenn du wegen einer Ordnungswidrigkeit verknackt wurdest, bist du deswegen nicht vorbestraft, egal wie hoch die Geldbuße ist.

Durch eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Straftat bist du hingegen vorbestraft, auch wenn es sich nur um eine geringe Geldstrafe handelt. Die Verurteilung wird in das Bundeszentralregister eingetragen. Auf dieses haben allerdings nur bestimmte Behörden Zugriff, insbesondere Gerichte und Strafverfolgungsbehörden. Im Zentralregister wird der Eintrag nach fünf Jahren gelöscht, es sei denn, es wurde vor Ablauf dieser Zeit eine neue Verurteilung eingetragen. Neben dem Bundeszentralregister gibt es das “polizeiliche” Führungszeugnis. Hier wird eine erstmalige Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen oder eine erstmalige Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten nicht aufgenommen. Auch eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht taucht dort nicht auf. Von solchen Strafen erfährt also niemand etwas aus deinem Führungszeugnis, wenn du dieses z.B. bei einer Bewerbung vorzulegen hast. Freiheitsstrafen zwischen drei und zwölf Monaten werden nach drei Jahren aus dem Führungszeugnis gelöscht, längere nach fünf Jahren – wenn in der Zwischenzeit keine weitere Verurteilung eingetragen wurde.

(...)

5. Personalienfeststellung


Wenn die Polizei deine Personalien feststellen will, bist du verpflichtet, diese Angaben zu machen: Vor- und Zuname, Meldeadresse, Geburtsdatum und –ort, Familienstand, Staatsangehörigkeit, allgemeine Berufsbezeichnung (z.B. Schülerin, Angestellter). Alles andere wie etwa dein Arbeitgeber oder die Namen deiner Eltern müssen nicht und sollten auch nicht angegeben werden. Die Auskunft ganz zu verweigern, ist eine Ordnungswidrigkeit. In diesem Fall und im Fall, dass du keinen Ausweis dabei hast, wirst du wahrscheinlich einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen (siehe Punkt 8).

6. Kostenpflichtige Verwarnung


Bei „geringfügigen Ordnungswidrigkeiten“ kann die Polizei eine Verwarnung aussprechen. Die kann mit einem Verwarnungsgeld verknüpft sein, das unter Umständen gleich vor Ort von dir verlangt wird. Eine solche Verwarnung wird nur rechtswirksam, wenn du damit einverstanden bist und das Geld bezahlst. Dann kann die Sache nicht mehr anderweitig verfolgt werden. Wenn du nicht zahlst, kommt es zum Bußgeldverfahren. Du musst dich aber nicht vor Ort entscheiden, sondern hast eine Woche Zeit dazu. Du kannst also nach der Aktion noch mal in Ruhe darüber nachdenken und dich mit anderen beraten.

7. Platzverweis


Wenn die Polizei einen Platzverweis ausspricht, muss sie dir genau sagen, welchen Bereich du nicht mehr betreten darfst. Du kannst dagegen Widerspruch einlegen, musst aber trotzdem den Platzverweis befolgen, sonst wirst du in Gewahrsam genommen. Ein Platzverweis kann auch gegen alle VersammlungsteilnehmerInnen gleichzeitig ausgesprochen werden.

8. Ingewahrsamnahme / Festnahme / Erkennungsdienstliche Behandlung


Wenn die OrdnungshüterInnen verhindern wollen, dass du eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit begehst, können sie dich in Gewahrsam nehmen. Wenn sie den Verdacht haben, dass du dich bereits einer Straftat oder Owi schuldig gemacht hast, können sie dich festnehmen. Vielleicht fahren sie dich einfach 20 km weit weg und setzen dich irgendwo aus. Vielleicht verfrachten sie dich aber auch in eine Polizeistation oder in eine Gefangenensammelstelle (Gesa). Dort werden deine Personalien festgestellt und du wirst durchsucht. Frauen dürfen nicht von männlichen Beamten abgetastet werden und Männer nicht von Frauen. Wenn dir Gegenstände abgenommen werden, musst du darüber eine Quittung bekommen. Falls eine erkennungsdienstliche Behandlung stattfindet, kannst du dagegen Widerspruch zu Protokoll geben, du kannst ihn aber auch später per Brief einlegen. Eine e-d-Behandlung besteht aus fotographieren, Körpergröße messen, Finger- und Handflächenabdrücke nehmen, körperliche Merkmale feststellen. Du hast das Recht auf zwei erfolgreiche Telefonate, musst aber damit rechnen, dass du dafür ein bisschen kämpfen musst. Passendes Kleingeld ist meist die Grundvoraussetzung.

Personen, die in Gewahrsam genommen wurden, müssen freigelassen werden, wenn der Anlass für den Gewahrsam vorbei ist. Die Polizei muss unverzüglich eine/n Richter/in benachrichtigen, damit diese/r über die Dauer entscheidet. In Rheinland-Pfalz darf die richterlich angeordnete Ingewahrsamnahme nicht länger als sieben Tage dauern. Ohne richterliche Entscheidung musst du spätestens am nächsten Tag freigelassen werden.

(...)

9. Polizeiliche Vernehmung


Vielleicht wirst du schon kurz nach deiner Festnahme oder Ingewahrsamnahme auf der Polizeiwache oder in der Gesa „zur Sache“ vernommen. Wenn du keine Aussage zur Aktion und zu deiner Rolle darin machen willst, dürfen dir daraus im weiteren Verlauf des Verfahrens keine Nachteile erwachsen. – Es kann aber auch sein, du erhältst erst Wochen oder Monate später von der für deinen Heimatort zuständigen Polizeistation eine Ladung zur Vernehmung. Wenn du einer solchen Ladung nicht folgst, darf dir das ebenfalls nicht nachteilig ausgelegt werden.

Hast du noch keine Erfahrung mit polizeilichen Vernehmungen, empfiehlt es sich, dass du nur die bei der Personalienfeststellung bereits gemachten Angaben wiederholst, aber zur Sache selbst nichts aussagst. Wenn du aussagen willst, um die Polizei mit deinen guten Argumenten zu konfrontieren, musst du bedenken, dass alles Ausgesagte gegen dich und deine FreundInnen verwendet werden kann. Die ErmittlungsbeamtInnen werden sich bemühen, nach Hinweisen auf „RädelsführerInnen“ zu suchen. Es besteht die Gefahr, dass sie mit geschickten Fragen Belastungsmaterial zusammentragen wollen, dir „das Wort im Mund umdrehen“ und so Vorwürfe konstruieren. Die Polizei ist eine Ermittlungsbehörde; ihr gegenüber bist du nicht rechenschaftspflichtig. Möglicherweise folgt ein öffentlicher Gerichtsprozess; dort ist es sinnvoller, deine Argumente vorzutragen.

(...)

10. Gedächtnisprotokoll


Nach deiner Entlassung schreibe bitte ein Gedächtnisprotokoll mit Ort und Zeit deiner Festnahme oder anderer polizeilicher Maßnahmen und mit einer Situationsbeschreibung. Es ist denkbar, dass du erst über ein Jahr später wegen der Aktion auf der Anklagebank eines Gerichts sitzen wirst, und bis dahin könntest du Wichtiges vergessen haben, wenn du es nicht gleich aufgeschrieben hast.

11. Strafverfahren


Wird dir wegen einer Aktion in Büchel eine Straftat vorgeworfen, erhältst du in der Regel ein paar Monate später vom zuständigen Amtsgericht entweder eine Anklageschrift, die die Staatsanwaltschaft verfasst hat, oder einen Strafbefehl. In beiden steht, welche Tat dir zur Last gelegt wird, gegen welche Gesetze du verstoßen haben sollst und welche Beweismittel vorliegen.

Jugendliche, die am Aktionstag noch nicht 18 Jahre alt waren, erhalten keine Strafbefehle. “Heranwachsende”, die zum “Tatzeitpunkt” noch nicht 21 Jahre alt waren, können Strafbefehle erhalten, wenn nicht Jugendstrafrecht, sondern Erwachsenenstrafrecht angewandt wird.

Im Strafbefehl steht auch gleich, wie du bestraft werden sollst. Dabei handelt es sich meist um eine Geldstrafe, die in Tagessätzen angegeben wird. Ein Tagessatz beträgt 1/30 deines monatlichen Netto-Einkommens. Wenn dem Gericht dein Einkommen unbekannt ist, wird es dieses schätzen. Es kennt ja aus der Personalienfeststellung deine allgemeine Berufsbezeichnung.

Legst du fristgerecht gegen den Strafbefehl Einspruch ein, wirst du zu einer Verhandlung vor Gericht geladen. Tust du das nicht oder ziehst du deinen Einspruch vor oder in der Verhandlung zurück, wird der Strafbefehl rechtskräftig. Er wird auch rechtskräftig, wenn du zur Verhandlung nicht erscheinst, obwohl deine Anwesenheit angeordnet ist.

In der Anklageschrift wird noch keine Strafe verhängt, sondern es wird dir Gelegenheit gegeben, etwas dagegen einzuwenden, dass es zu einer Verhandlung kommen soll, und Beweise vorzubringen, die dich entlasten können.

Wenn Jugendstrafrecht angewandt wird, findet die Verhandlung in dem für deinen Wohnort zuständigen Amtsgericht statt. Wenn Erwachsenenstrafrecht angewandt wird, findet die Verhandlung im Amtsgericht Cochem statt.

Falls du zu einer Gerichtsverhandlung wegen einer gewaltfreien Aktion in Büchel erscheinen sollst oder willst, kannst du von der GAAA ein Extra-Info dazu bekommen (siehe Kontaktadresse am Schluss dieser Schrift). Möglicherweise können wir auch ein Prozesstraining dazu anbieten.

12. Ordnungswidrigkeitsverfahren


Wird dir eine Owi vorgeworfen, kann es sein, dass du irgendwann vom zuständigen Ordnungsamt einen Bußgeldbescheid erhältst, in dem du aufgefordert wirst, eine Geldbuße in einer bestimmten Höhe zu zahlen. Gegen den Bescheid kannst du Einspruch einlegen und diesen auch begründen. Wenn du den Einspruch fristgerecht eingelegt hast, kann es zu einer Gerichtsverhandlung kommen. Wenn du wegen einer Ordnungswidrigkeit verknackt wurdest, bist du deswegen nicht vorbestraft, egal wie hoch die Geldbuße ist. Wegen Aktionen in Büchel haben wir mit Owi-Verfahren noch keine Erfahrungen gemacht.

13. Polizeieinsatzkosten


Schon mehrfach ist es vorgekommen – wenn auch noch nicht bei GAAA-Aktionen in Büchel – , dass die Polizei nach geräumten Sitzblockaden Polizeieinsatzkosten-Bescheide an diejenigen verschickt hat, die sie von der Straße getragen und deren Personalien sie notiert hatte. Hiergegen kann Widerspruch eingelegt werden. Solche Widersprüche hatten z.B. nach den Blockadeaktionen im März 2003 an der Rhein-Main-Airbase in Frankfurt/Main Erfolg. Die einzelnen Betroffenen sollten jeweils 30 Euro zahlen. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof jedoch entschied zwei Jahre später, dass die BlockiererInnen nichts zahlen müssten, weil das Wegtragen durch die Polizei „nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen“ habe.

(...)

Auszug aus der Schrift "Zur Vorbereitung auf eventuelle Gerichtsverhandlungen ..."

Hinweis: Der folgende Text wurde uns freundlicherweise von Martin Otto zur Verfügung gestellt, er steht unter Creative Commons Lizenz CC-BY-NC-SA. Vielen Dank an Herrn Otto!)

(...)

Wenn dir wegen deiner Teilnahme an einer Blockade eine Straftat vorgeworfen wird (also nicht eine Ordnungswidrigkeit), dann geht es um die Frage: Wurde mit der Blockade eine Nötigung im Sinne des §240 des Strafgesetzbuchs (StGB) begangen?

Der §240 StGB lautet:

 (1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel
 zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt,
 wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

 (2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels
 zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

 (3) Der Versuch ist strafbar.

 (4) In besonders schweren Fällen (...)

Wenn ein Fahrzeug anhalten muss, weil BlockiererInnen auf der Straße sitzen, wird die Fahrerin/der Fahrer zweifellos genötigt. Es ist aber die Frage, obdieseNötigung denn auch rechtswidrig ist. Das wird sie ebenerst dadurch, dass sie mit Gewalt erfolgt und dass die Gewaltanwendung im Hinblick darauf, was mir ihr bezweckt werden soll, verwerflich ist.

Die Ansichten darüber, ob und unter welchen Umständen Sitzblockaden eine verwerfliche Gewaltanwendung darstellen, können in verschiedenen Gerichten weit auseinandergehen. Seit Jahrzehnten streiten „die Gelehrten“ darüber, aber auch höchstrichterliche Entscheidungen vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und vom Bundesgerichtshof (BGH) haben keine juristische Klarheit geschaffen. Weiterhin können die unteren Gerichte die Vorschriften des §240 drehen und wenden und ganz Unterschiedliches herauslesen.

Einigkeit besteht darin, dass die „Einzelfallumstände“ einer Blockade genau betrachtet werden müssen, um die Frage der Verwerflichkeit beantworten zu können.

Bei der Frage, ob bei einer bestimmten Blockade eine Gewaltanwendung stattgefunden hat, wird es kompliziert. Die Justiz versteht unter einer gewaltfreien Aktion oft etwas anderes als wir Aktive des Gewalfreien Widerstands. Für uns ist eine Widerstandsaktion in der Regel dann gewaltfrei, wenn wir keine körperliche Gewalt gegen Menschen androhen oder anwenden (wobei es natürlich Ausnahmen von der Regel gibt, etwa bei persönlicher Notwehr oder Nothilfe und bei Aktionen, die im Widerspruch stehen zum Ziel einer repressionsfreien, sozialen Demokratie – also wenn z.B. eine Sitzblockade stattfindet mit dem Ziel, schärfere Gesetze zur Abschiebung von Flüchtlingen zu erreichen).

Die Justiz hat lange Zeit jede in unserem Verständnis gewaltfreie Sitzblockade als eine Ausübung “psychisch wirkenden Zwanges” angesehen. Das sei Gewalt und somit Nötigung. Erst 1995 hat das BVerfG diesen “vergeistigten” Gewaltbegriff korrigiert und entschieden, bloße körperliche Anwesenheit bei einer Blockade sei noch keine Gewalt. Dann aber konterte der BGH mit einem abenteuerlich anmutenden juristischen Konstrukt, wonach die bloße körperliche Anwesenheit eben doch ein strafbare Nötigung sein könnte: die so genannte “Zweite-Reihe-Rechtsprechung”. Die besagt folgendes: Die Sitzblockade vor einem einzelnen Fahrzeug bedeutet eine /psychische /Einwirkung auf die Fahrerin/den Fahrer. Es ist keine unüberwindbare /physische /Einwirkung, denn theoretisch könnte das blockierte Fahrzeug über die Sitzenden hinweg fahren. Die /psychische/Einwirkung kann nicht als Gewalt und folglich nicht als Nötigung ausgelegt werden. Ist jedoch ein zweites Fahrzeug betroffen und evtl. auch weitere Fahrzeuge, die hinter dem blockierten ersten halten müssen, so stellt das erste Fahrzeug für die dahinter stehenden ein unüberwindbares /physisches/Hindernis dar. Also doch Gewalt. Also doch strafbare Nötigung.

Das Bundesverfassungsgericht hatdiese "Zweite-Reihe-Rechtsprechung" im März 2011 bestätigt – man kann auch sagen: „geschluckt“.Es hat aber nochmals darauf hingewiesen, dass die Gewaltanwendung nicht automatisch verwerflich sei. Es komme eben aufdie Einzelfallumstände der Blockade an. Wenn die politischen Ziele der Blockierenden schwerer wiegen würden als die von der Blockade ausgehende Gewalt, dann würde keine strafbare Nötigung vorliegen. Die würde nur dann vorliegen, wenn die von der Blockade ausgehende Gewalt mit Blick auf ihre Ziele unverhältnismäßig groß wäre.

Hier kannst du sehen, dass es fast so was wie „reine Glücksache“ ist, ob du vom Vorwurf der Nötigung freigesprochen wirst oder nicht. Denn wasnun „unverhältnismäßig“ ist, kann von einzelnen RichterInnen und Strafkammern natürlich ganz unterschiedlich gesehen werden.

Interessant am Beschluss des BVerfG vom 7.3.2011 ist indessen auch die Feststellung, dass der Schutz der Versammlungsfreiheit nicht auf Veranstaltungen beschränkt ist, auf denen argumentiert und gestritten wird (also z.B. Demos und Mahnwachen), „sondern vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bishin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, _darunter auch Sitzblockaden_, umfasse.” (Hervorhebung von M.O.)So steht es in einem Urteil des Verwaltungsgericht Koblenz vom 27.2.2014, in dem festgestellt wurde, dass ein öffentlicher Aufruf zur Blockade in Büchel im August 2013 keine Aufforderung zu einer strafbaren Nötigung gewesen ist. Weiter heißt es da, dass Aktionen wie Sitzblockaden allerdings dann nicht mehr den Schutz der Versammlungsfreiheit genießen könnten, wenn von ihnen eine kollektive Unfriedlichkeit ausgehe. Aber Behinderungen Dritter, _selbst wenn sie gewollt seien_, würden nicht die Einschätzung rechtfertigen, die Versammlung sei nicht mehr friedlich. So habe es das BVerfG im März 2011 entschieden.

Zur Abwägung der Einzelfallumstände steht in dem Urteil des Koblenzer Verwaltungsgerichts: „Hierbei sind regelmäßig zu berücksichtigen: Der zum Blockadetermin zu erwartende Dienstbetrieb, die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten und der Sachbezug der betroffenen Personen zum Protestgegenstand. Darüber hinaus kann es unter Umständen auf die Zahl der Demonstranten oder die Dringlichkeit der blockierten Transporte und sonstigen Dienstfahrten ankommen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 07.03.2011 – 1 BvR 388/05 – und Beschluss vom 23.03.1992 – 1 BvR 687/88 – , jeweils zit. nach juris).“

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Kategorie(n): Aktion Versammlungsfreiheit

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Zuletzt geändert am 29.01.2015 13:23 Uhr