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20171025BVerfG-Verhandlung-Zensus2011

Über diese Wikiseite


Am Dienstag, den 24.10.2017 verhandelte der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in Karlsruhe in mündlicher Verhandlung über eine Normenkontroll-Klage der Städte Berlin und Hamburg gegen die Volkszählung 2011 ("Zensus 2011").

Beide Städte hatten besonders unter dem Ergebnis der Erfassungsmaßnahme zu leiden, so sollten den Berechungen der Statistiker zufolge in Berlin rund 180.000 Menschen weniger als vermutet leben (Bescheid vom 3.6.2013) und angeblich 82.833 weniger Menschen in Hamburg (Bescheid vom 10.6.2013), was für die Städte zu großen finanziellen Verlusten führte (in Berlin erhielt im Jahr 2013 ca. 950 Millionen Euro weniger Finanzausgleich als geplant, über zehn Jahre hinweg summieren sich die Mindereinkommen auf ca. 5 Milliarden Euro, Hamburg erhielt für 2013 ca. 220 Millionen Euro weniger Geld vom Bund.)

Erst dadurch aufgeschreckt machten sich diese wie auch viele andere Städte und Gemeinden auf um gegen die Volkszählung zu klagen ... hatten sie doch den Kritikern in all den Jahren davor genau das Gegenteil erzählt, sich gegen jede Kritik verwehrt und Verweigerern das Leben sehr schwer gemacht ... so ändern sich die Zeiten.

Diese Wikiseite dient der Protokollierung des Verhandlungsverlaufs mit den aus unserer Sicht wesentlichsten Punkten und Äußerungen. Hervorhebungen sind von uns, eigene Kommentierungen sind in eckige Klammern gefasst, alle Angaben und Zitate nach bestem Wissen und Gewissen - Film- und Tonaufnahmen waren in der Verhandlung nicht gestattet. Die Aufzeichnungen sind weder vollständig noch rechtsschreibungsfehlerfrei. :)

Zum Verfahren sei auf die nachfolgeden Dokumente und Pressemitteilungen des BVerfG verwiesen.

Die Verhandlung begann um 10 Uhr, wurde von einer Mittagspause von 13:37 bis 15:00 Uhr unterbrochen und endete um 17:24 Uhr.

Sehr viele Informationen über die Volkszählung finden sich beim Arbeitskreis Zensus (AK Zensus), dessen Homepage-Adresse leider zwischenzeitlich umgezogen ist (früher: www.zensus11.de - jetzt: www.no-zensus.de) sowie in der sehr umfangreichen und vielfältigen Informationssammlung des AK Zensus im Wiki des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung.


Dokumente und Pressemitteilungen des BVerfG


Ankündigung der mündlichen Verhandlung (PM vom 22.8.2017)


Quelle: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/bvg17-073.html

Mündliche Verhandlung in Sachen „Zensus 2011“ am Dienstag, 24. Oktober 2017, 10.00 Uhr

Pressemitteilung Nr. 73/2017 vom 22. August 2017

Aktenzeichen: 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am

Dienstag, 24. Oktober 2017, 10.00 Uhr,
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe

über Anträge der Senate von Berlin und der Freien und Hansestadt Hamburg im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle zur Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über den registergestützten Zensus im Jahre 2011 (Zensusgesetz 2011), der dazugehörigen Stichprobenverordnung 2011 sowie des Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011 (Zensusvorbereitungsgesetz 2011).

Zum Stichtag 9. Mai 2011 fand eine bundesweite Bevölkerungs-, Gebäude- und Wohnungszählung (Zensus) statt. Hierbei erfolgte erstmalig eine sogenannte registergestützte Volkszählung. Im Unterschied zu den vorhergehenden Volkszählungen - zuletzt 1987 in der Bundesrepublik Deutschland und 1981 in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik - wurden dabei nur knapp 10 % der Einwohner befragt. Zur Reduktion der Zahl der erforderlichen Befragungen wurde auf bereits in Registern erfasste Daten zurückgegriffen; diese wurden durch primärstatistische Erhebungen ergänzt. Durch den Zensus wurden unter anderem die amtlichen Einwohnerzahlen für alle Gemeinden in Deutschland neu festgestellt. Zur Korrektur von Unrichtigkeiten der Melderegister sah das Verfahren neben einer sogenannten Mehrfachfallprüfung in Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohnern eine Stichprobenbefragung sowie in kleineren Gemeinden eine sogenannte „Befragung zur Klärung von Unstimmigkeiten“ vor. Die Ergebnisse führten unter anderem dazu, dass die Einwohnerzahl Berlins gegenüber der Bevölkerungsfortschreibung um circa 180.000 und die Hamburgs um gut 82.800 Personen niedriger ermittelt wurde.

Die Antragsteller rügen insbesondere, dass die Regelung der Haushaltsstichprobe gegen Bestimmtheitsanforderungen verstoße. Der Gesetzgeber habe zudem fachstatistische Grundlagen des Stichprobenverfahrens nicht genau genug ermittelt. Eine den verfassungsrechtlichen Rechtspositionen der Länder und Kommunen nach Art. 20 Abs. 1 und 2 GG und Art. 28 Abs. 2 GG sowie dem Finanzverfassungsrecht genügende, hinreichend präzise Einwohnerermittlung sei damit nicht gesichert gewesen. Die Anwendung verschiedener Methoden in Abhängigkeit von der Gemeindegröße sei mit den Geboten interkommunaler und föderaler Gleichbehandlung unvereinbar, da sie zu einer Benachteiligung größerer Gemeinden und der Stadtstaaten geführt habe. Die Antragsteller sind ferner der Auffassung, die Verfahrensgestaltung beeinträchtige Länder und Gemeinden in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz, da sie eine gerichtliche Überprüfung erschwere. Insbesondere die angeordneten Löschungszeitpunkte berücksichtigten das Interesse an der gerichtlichen Nachprüfbarkeit der Einwohnerzahlen nicht hinreichend.

Auf einen Eilantrag des Senats von Berlin hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 26. August 2015 den Vollzug der Löschungsvorschriften (§ 19 ZensG 2011) vorläufig ausgesetzt. Die einstweilige Anordnung wurde mit Beschlüssen vom 15. Februar 2016, 20. Juli 2016, 22. Dezember 2016 und 13. Juni 2017 jeweils um sechs Monate verlängert.


Verhandlungsgliederung (PM vom 17.10.2017)


Quelle: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/bvg17-088.html

Verhandlungsgliederung in Sachen „Zensus 2011“

Pressemitteilung Nr. 88/2017 vom 17. Oktober 2017

Aktenzeichen: 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15

Wie bereits angekündigt, verhandelt der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts am 24. Oktober 2017 um 10.00 Uhr über die Anträge der Senate von Berlin und der Freien und Hansestadt Hamburg im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle zur Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über den registergestützten Zensus im Jahre 2011 (Zensusgesetz 2011), der dazugehörigen Stichprobenverordnung 2011 sowie des Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011 (Zensusvorbereitungsgesetz 2011). Auf die Pressemitteilung Nr. 73/2017 vom 22. August 2017 wird insoweit verwiesen.

Die mündliche Verhandlung am 24. Oktober 2017 wird voraussichtlich wie folgt gegliedert sein:

A. Einführende Stellungnahmen (je 5-10 Minuten)

B. Fragen zum Sachverhalt

C. Zulässigkeit

D. Begründetheit

I. Maßstäbe
1. Art. 80 GG und Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG (Wesentlichkeitsdoktrin)
2. Bundesstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG)
3. Kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG)
4. Insbesondere: föderale und interkommunale Gleichbehandlung
5. Informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V .m. Art. 1 Abs. 1 GG)
II. Subsumtion
1. § 7 Abs. 1 bis 3 ZensG 2011
2. §§ 7 Abs. 1 Satz 2, 16 sowie § 15 Abs. 2 und Abs. 3 ZensG - Gleichbehandlungsfragen
3. § 15 ZensVorbG 2011, § 8 Abs. 3 und § 19 Abs. 1 und 2 ZensG 2011
4. § 2 Abs. 2 und 3, § 3 Abs. 2 StichprobenV

E. Rechtsfolgen

F. Abschließende Stellungnahmen


Dokument zur mündlichen Verhandlung sowie Anwesenheitsliste



Eingangsstatement Richter Voßkuhle



Bilder


Foyer im EG
Eine Toilette
Beklagtenbank
Klägerbank


Beginn der Verhandlung (10:00 Uhr)


  • Kurze einführende Worte durch Richter Voßkuhle.
  • Eingangsstatement


Einführung in das Thema durch den Berichterstattung Richter Huber


  • Ist ein verfassungsgemäßer Zensus überhaupt möglich?
  • Führt das gewählte Verfahren mit Stichprobenbefragungen und Mehrfachfalluntersuchungen überhaupt zu zuverlässigen Ergebnissen?
  • Es gab eine kritische Evaluierung des Zensus 2011, deswegen soll der Zensus 2021 anders ablaufen. [Davon war in der Öffentlichkeit bislang nichts bekannt.]
  • Führen Stichprobenerhebung und Einzelfallbefragungen zu vergleichbaren Ergebnissen?
  • Gibt es überhaupt eine verfassungsrechtliche Grundlage für die Länder, die Ergebnisse zu hinterfragen?
  • Soll/kann einen korrekte Einwohnerzahl (EW-Zahl) überhaupt ermittelt werden?
  • Hat die Mitsprache im Vorfeld und bei der Planung des Zensus nicht sogar schon ausgereicht, um spätere Kritik valide sein zu lassen?
  • 2021 soll der Zensus 2011 anders verlaufen - gibt es also überhaupt ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse?
  • Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (GIS) hat in den Anträgen der Länder überhaupt keine Rolle gespielt. Warum nicht?
  • War es zulässig, mitten während des laufenden Zensus ein kurzfristig anberaumtes Evaluationsverfahren durchzuführen? Das war eine "Operation am offenen Herzen".


A./B. Einführende Stellungnahmen und Fragen zum Sachverhalt


Prof. Dr. Stefan Korioth, Bevollmächtigter der Freien und Hansestadt Hamburg


  • Werbeslogan war: "Wissen, was morgen zählt"
  • Vorrangige Zielsetzung: EW-Zahlen genau ermitteln, andere Ergebnisse zweitrangig
  • Komplexheit wurde seitens der Bundesregierung (BR) und dem Bundesinnenministerium (BMI) sowie dem ihm unterstellten Bundesstatistikamt (Destatis) sowie seitens der Landesstatistikämter lange unterschätzt
  • Die komplette Gestalt des Zensus lag zum Zeitpunkt der Gesetzgebung noch gar nicht vor, hat man dann Destatis überlassen.
  • 1. Methodikproblem: Zusammentragen der Daten ungenau, laienhaft genau wie Korrekturregeln und Stichprobenregeln
  • Das Destatis Forschungs- bzw. Evaluationsprojekt war nur wenigen überhaupt bekannt [!]
  • Operation am offenen Herzen, Projekt als lernendes Projekt angelegt, ständige Änderungen mitten während der Ausführung
  • 2. Gleichheitsproblem: Strukturell unterschiedliche Behandlung von Städten/Gemeinden mit mehr und weniger als 10.000 Einwohner
  • Stichprobenprinzip kam nur bei EW>10.000 zum Tragen, keine einheitliche Methode
  • deswegen Sprünge und Verzerrungen bei den Ergebnissen
  • Gleichheitsverstoß, der wurde vom Gesetzgeber nicht gesehen bzw. erst nachträglich und lückenhaft
  • 3. Rechtsschutzproblem: mehr als 1.000 Gemeinden bezweifelten die Rechtmäßigkeit der Ergebnisse, aber es gab keinen effektiven Rechtsschutz, Einsicht in Daten und Methoden wurde verweigert aus Datenschutzgründen, Blackbox-Verfahren
  • Transparenz, Offenheit und Nachprüfbarkeit für Gemeinden nicht vorhanden
  • OVG NRW: Gesetzgebung war darauf fixiert, einen möglichst "stillen Zensus" durchzuführen - das auf Kosten des effektiven Rechtsschutzes


Dr. Reiner Geulen, Bevollmächtigter der Stadt Berlin


  • Reduktion auf 2 Kernprobleme abseits komplexer Mathematik:
  • a) Verfahren (Stichprobenbefragung für >10.000EW und Mehrfachfallprüfungen für >10.000EW) war zu keinem Zeitpunkt praktisch erprobt worden, auch nirgendwo anders in der Welt
  • das ist ein starker Hinweis darauf, daß Gesetzgeber eine verschärfte/konkretere Gesetzesanforderung hätte verankern müssen
  • b) Strukturbruch: selektive Stichprobe gab es nur in einigen Gemeinden
  • Strukturbruch ist für Statistik ein "No-Go"
  • Zugespitzt: Bei kleinen Gemeinden wurden die Zahlen aus den Melderegistern ohne Korrekturen als Ergebnis übernommen, für größere Gemeinden gab es eine Korrektur der EW-Zahl nach unten, bei ganz großen Gemeinden und Städten gab es sogar eine starke Korrektur nach unten
  • Flächenländer wurden bei diesem System bevorteilt!
  • Nachteile für Stadtstaaten HH und Berlin und andere, weil die keine kleinen Gemeinden, kann kein Ausgleich zwischen diesen Effekten erfolgen.
  • 180.000 weniger EW für Berlin
  • als Folge davon wurde die Finanzplanung von Berlin völlig über den Haufen geworfen [Anmerkung: Das ist genau das Gegenteil von dem, womit die Volkszählung immer beworben wurde. Da hieß es auf Hochglanzprospekten immer, die VZ würde Planungssicherheit herstellen.]
  • im Schnitt 500 Millionen Euro weniger Geld pro Jahr in Berlin zur Verfügung
  • 940 Millionen Euro Verlust für Berlin in 2013 (im Haushalt -6%)
  • insgesamt 5 Milliarden Euro Verlust für Berlin bis 2019
  • "Wir haben uns die Entscheidung für den Gang nach Karlsruhe nicht leicht gemacht, deswegen erst so eine späte Einreichung der Normenkontrollklage."
  • Es gab ein Schreiben mit Fragen an die sachverständigen Dritten, von denen wir erst vor kurzem und auch nur per Zufall erfahren haben. Das hat sehr zu Irritationen geführt!
  • Andere haben den Fragenkatalog früher bekommen.
  • Die vom Gericht eingeladenen Sachverständigen sind keine unabhängigen Sachverständige, sondern Fürsprecher des Zensus 2011.
  • Z.B. Destatis kann kein unabhängiger Sachverständiger sein, eher Prozeßgegner!
  • Die eingeladenen Sachverständigen sind nicht neutral.


Kurze Erwiderung durch Richter Voßkuhle und Richter Huber


  • Voßkuhle: Die Bezeichnung als "Prozeßgegner" ist provokant.
  • Huber: Die Fragen ergeben sich aus der Berichterstattung des Gerichts, insofern ist der Fragenkatalog in den Briefen an die Sachverständigen nichts neues.


Klaus Vitt, BMI-Staatssekretär


  • "Einwohner kann man nicht exakt zählen, wenn sie unüberwacht wohnen dürfen."
  • "Das ginge selbst bei einer Totalüberwachung der Straße nicht."
  • Methodenwechsel berucht auf den Erfahrungen der Volkszählungen im Westen 1983/1987
  • Es gab viele Forschungsprojekte vorher
  • "Vielleicht war es kein perfektes Verfahren, aber ein besseres war damals nicht bekannt."
  • "Evaluation hat gezeigt, daß der Zensus 2011 insgesamt erfolgreich war."
  • "Evaluation zeigte auch, dass Korrektur in kleinen Gemeinden stärker nötig waren als zuvor gedacht."
  • Trotzdem insgesamt ausreichende Datenqualität.
  • Natürlich werden wir aus Erfahrungen lernen und Zensus 2021 verbessern.


Dieter Sarreither, Präsident Destatis


[Anmerkung: Herr Sarreither war vor und während der Volkszählung 2011 IT-Abteilungsleiter bei Destatis]

  • [Herr Sarreither erwähnt anfangs Fragenkatalog an Sachverständige - dieser enthielt wohl drei Fragen.]
  • Viele andere Erhebungsmethoden wurden in den 1990ern untersucht und diskutiert
  • Ergebnis war: registergestützter Zensus
  • 2001 gab es den Zensustest, dabei wurden alle wesentlichen Module des Zensus 2011 getestet
  • Aufgefallen dabei: Unterschiedliche Registerqualität bei kleinen und großen Gemeinden
  • Die Differenzierung der Erhebungsmethoden bei kleinen und großen Gemeinden erfolgte aus drei Gründen:
  • 1. GIS
  • 2. Wissen um die ungleiche Registerqualität
  • 3. Kostengründe
  • Stichprobentheorie ist mathematisch fundiert und durch Zensustest geprobt.
  • Hat auch Israel in 2011 zur Volkszählung eingesetzt.
  • Wurde als Prinzip gemeinsam von Zensuskommission und Bund-LÄnder-Kommissionen ausgewählt, im Konsens
  • Zensuskommission hat sich kontinuierlich mit der Erhebungsmethode beschäftigt
  • Alle Landesstatistikämter waren an Methodenauswahl beteiligt
  • Auch Statistiker der Städte bzw. des Städtetags waren in den Gremien drin!
  • Alle waren immer über alles informiert.
  • Es gab umfangreiche Regelungen seitens des Gesetzgebers, deswegen nur wenig Spielraum für die Statistiker durch Gesetz gelassen
  • Schichtungsmethode/-modell war in §2 klar vorgegeben, Destatis hat dann verbindliche Regeln dafür festgelegt
  • Zusätzliche Regeln nach erfolgter Gesetzgebung wurden dadurch begründet, Einfließen aktueller Forschungsprojekte/-ergebnisse
  • Es gabe 4 Stellen, die unterschiedliche Teilaufgaben des Zensus 2011 übernommen/erledigt haben:
  • a) Destatis (Anschriften- und Gebäuderegister AGR sowie Ziehung der Haushalte-Stichprobe)
  • b) Landesamt für Statistik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW)
  • c) Landesamt für Statistik Sachsen
  • d) Bayrisches Landesamt für Statistik
  • Es gab bundesweit einheitliche Qualitätsstandards für Prüfstellen und Erhebungsbeauftragte
  • "Uns wurden keine Auffälligkeiten mitgeteilt"
  • Hilfsmerkmale [Anmerkung: das sind die personenbezogen Datenteile eines Datensatzes] sollten möglichst schnell gelöscht werden
  • AGR lässt Rückschlüsse auf Bedeutung einer Hausanschrift zu, dient aber nicht der Ermittlung der EW-Zahl
  • Erfassungsrisiken gibt es auch bei Vollzählungen
  • Grund für den Strukturbruch waren die Erfahrungen aus dem Zensustest
  • "Ex ante" (vorher) erhielten wir dann auch ein vergleichbareres Korrekturergebnis der EW-Zahl für kleine Gemeinden: -0,2%
  • "Ex post" (hinterher) stellten wir fest, dass wir die kleinen Gemeinden "zu gut behandelt haben", denn die tatsächliche Korrektur für deren EW-Zahl betrug: -1,1%
  • Also um -0,9% falsch gelegen.
  • Allerdings: Hätten wir die Stichprobenbefragung auch bei den kleinen Gemeinden durchgeführt, hätten wir dort 50-60% der Menschen einzeln befragen müssen, um gleiche Ergebnisqualität zu erzielen.
  • "Wenn manche besser behandelt werden, dann heißt das nicht, dass andere schlecht behandelt werden."
  • Gebäude- und Wohnungszählungsergebnisse wurden miteinander verglichen, bei Widersprüchen erfolgte Einzelfallprüfung in allen Fällen
  • Es gab auch Mehrfachfallprüfungen
  • Bei der deutschen Bevölkerung ergab sich eine bundesweite Reduktion der EW-Zahlen um 0,6%, bei ausländischer Bevölkerung dagegen um 15%!
  • 8-Schichten-Modell, Schichten in Abhängigkeit von der Anzahl der Köpfe pro Wohnung/Adresse (?)
  • Dieses Modell war nicht durch Gesetzgeber sondern durch Forschungsprojekt festgelegt
  • Laufende Informationen haben das endgültiger Konzept des Zensus 2011 erst ertüchtigt.
  • Wir haben im Laufe der Verfahren verschiedene Hochrechnungsmethoden überprüft und das beste davon ausgewählt
  • Beschlüsse mit den Ländern waren alle konsensual, es gab keine Sondervoten
  • Auf Nachfrage von Richter MÜller: Einzelüberprüfungen gab es doch nicht in allen Haushalten, sondern nur in Anschriften/Häusern mit einer Wohnung darin. Das ist qualitativ völlig ausreichend.
  • die BMI-Evaluierung hat Veränderungen des Verfahrens vorgeschlagen und eingebracht
  • Einwurf Richter: "Selbstverständlich ist die Einteilung der Gruppe/Grenze auf 10.000 EW beliebig" steht in den Verfahrensunterlagen.
  • Zensustest hat 40 Millionen Euro gekostet.
  • Der Qualitätssprung der Register bei Gemeinden in 10.000-EW-Umgebung ist signifikant.
  • Einwurf Voßkuhle: Man hat den Eindruck, es handelt sich um eine MÜnchhausen-Konzeption mit dem Münchhausen-Effekt, sich selbst an den Haaren aus den Sumpf zu ziehen: Man ändert im laufenden Prozess solange die Regeln, bis es passt.


Dr. Thomas Gößl, Präsident Bayrisches Landesamt für Statistik


  • Es gab 11 Projektgrupen zur Vorbereitung des Zensus
  • Es wurde damals tatsächlich viel um die Datenqualität gerungen
  • Im Bundesrat gab es über 50 Änderungsvorschläge in Bezug auf die EW-Zahl-Ermittlung, sehr lebendiger Prozeß in der Gesetzgebung damals, Einigung sogar erst bei Innenausschuss-Anhörung, danach Zustimmung im Konsens durch Bundesrat.
  • IT-Verfahren wurde durch 4 Bundesländer entwickelt: Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg
  • Auch in Gemeinden <10.000EW gab es eine Haushaltestichprobe, allerdings nur mit 1% Beteiligung statt mit 10% (genau: 9,65%) wie bei den größeren Gemeinden
  • Aus dessen Werten heraus ergab sich der hochgerechnete Korrekturfaktor von -1,1% (s.o.), statt -0,2%, wie angewendet.
  • Untersuchungen haben gezeigt, dass dieser Wert sehr stark divergiert und nicht pauschal verwendet werden darf
  • Rheinland-Pfalz hat ein Landesmelderegister, wodurch dessen Qualität deutlich besser ist als in anderen Bundesländern


Prof. Dr. Susanne Rässler, Deutsche Statistische Gesellschaft von der Uni Bamberg


  • [Den Äußerungen von Frau Rässler war zu entnehmen, dass diese an der Konzeption des Zensus 2011 eng eingebunden gewesen sein muss.]
  • Stichprobenverordnung ließ "herzlich wenig Spielraum" zur Umsetzung.
  • Im Gesetz steht "angestrebte Genauigkeit von 0,5%", nicht aber "zu erzielende Genauigkeit". Das ist sehr gut formuliert.
  • Es gibt keinen "Strukturbruch", wohl aber einen "Methodenwechsel"
  • "Alle Länder machen Volkszählungen, regelmäßig. Nur Deutschland sticht negativ heraus."
  • Seit 24 bzw. 30 Jahren hatten wir keine Volkszählung mehr. [Anmerkung: Letzte Volkszählung BRD war 1987, letzte Volkszählung DDR war 1981]
  • "Die Bevölkerung ist mit dem Zensus ja hochzufrieden gewesen, das haben wir gesehen. Das war völlig unproblematisch." Und im Vergleich mit der sonstigen freiwilligen Datenfreigabe der Bürger: "Der Zensus ist sooo unproblematisch."
  • "Selbst die Amerikaner sind so weit, dass sie Register zusammenführen."
  • "Die Österreicher haben wir zur Zensus-Korrektur hinzugezogen."
  • "Ob Israel auch einen Methodenwechsel macht, weiß ich nicht." [Ob man dieser Behauptung Glauben schenken darf, ist fraglich. Es glich aus subjektiver Sicht eher einem Schauspiel, wie sich Frau Rässler umschaute und einen Kollegen dazu befragte, der aber auch keine Antwort gab.]


Prof. Dr. Ralf Münnich, Uni Trier


  • [Den Äußerungen von Herrn Münnich war zu entnehmen, dass dieser genau wie Frau Rässler an der Konzeption des Zensus 2011 eng eingebunden gewesen sein muss.]
  • Hat auch Fragenkatalog mit drei Fragen bekommen.
  • Untersuchungen haben gezeigt: 10.000er-EW-Grenze war weich, wirkt sich nicht stark aus, ob man etwas darüber oder darunter bleibt.
  • 8-Schichten-Modell-Vorgabe war aus Statistikersicht zu eng gefasst, hätte man per Gesetz besser breiter oder freier gestalten müssen.
  • Es gibt andere Fehlerquellen als der Methodenwechsel bei 10.000-EW-Gemeinden:
  • a.) Große Wohnanschriften in Großstädten, ist inzwischen aber durch Meldegesetzänderungen behoben (Vermieter muss bei Neuanmeldungen inzwischen gegenbestätigen, das war früher nicht notwendig)
  • b.) "Schade, dass die Hilfsmerkmale so früh gelöscht worden sind. So können wir nicht aus den Fehlern lernen. Das ist das größte Problem!"
  • Es gibt drei Varianten einer Volkszählung:
  • i. Vollzählung (wie 1983/87)
  • ii. registergestützter Zensus (wie Zensus 2011)
  • iii. registerbasierter Zensus (ganz ohne Befragung/Stichprobe, z.B. skandinavische Länder oder auch Österreich)
  • Hilfreich wäre die Schaffung valider Anschriftenregister sowie eine durch eine externe, von Ländern, Gemeinden und Kommunen unabhängige Evaluation der Melderegister
  • Zensustest hatte nur eine sehr kleine Stichprobe zur Basis
  • Aus dem Zensustest wurde das [und jetzt kommt mein "Lieblingswort":] "Karteileichenfehlbestandsmodell" herausgelesen.
  • "Wir haben den Zensustest ausgewertet." [Direkte Beteiligung von Herrn Münnich an diesem Vorgang/Konzept -> Befangenheit möglich]
  • "Die Wiederholungsbefragungen, die wir gemacht haben, taugen nicht zur Korrektur der Ergebnisse, sondern sie helfen zu lernen für den nächsten Zensus."
  • "Länder, die Zentralregister haben, haben genauere Ergebnisse."
  • "Ich hätte mir die längere Aufbewahrung und Nutzung der Hilfsmerkmale gewünscht!"
  • Verweist auf die guten Vertragsverhandlungen mit Frau Bechtold (Destatis).
  • Wiederholt zum dritten mal seinen Wunsch nach Zugang zu den [personenbezogenen] Hilfsmerkmalen.


Prof. Dr. Björn Christensen (für die Antragssteller Berlin und Hamburg)


  • Zensustest hat nicht Methoden erprobt, sondern erst die Methodenauswahl begründet, Methoden wurden gar nicht erprobt.
  • Weitere Fehler jenseits der Methodenfehler blieben unberücksichtigt.
  • "So einen Methodenmix hat es noch nie zuvor in der Art gegeben." Völlig unerprobt. Hätte man vorher untersuchen müssen.
  • Aus den Problemen können wir nichts lernen, weil Hilfsdaten gelöscht worden sind.
  • Konkretes Praxisbeispiel für weitere Probleme/Fehlerquellen: Erheber (Volkszähler) hat in einem Haus nur zwei Personen gezählt, weil er Hintereingang zu einer weiteren Wohnung im Haus mit 16 (!) weiteren Bewohnern nicht gefunden hat. Da fehlten Informationen zur Verhinderung solcher Pannen.
  • Solche und ähnliche Fehler wurden nicht berücksichtigt.
  • Kommunen können Fehler bei Aufbereitung zur Adressenzusammenführung nicht mehr nachvollziehen.
  • Zum Teil gab es händische Änderungen in Datensätzen ohne 4-Augen-Prinzip!


Einwurf Richter Müller


  • "Die Kläger sind nicht nur Opfer, sondern auch Täter."
  • Haben im Bundesrat allem im Konsens bei Gesetzgebung zugesetimmt.
  • Kommen erst mit der Klage, als ihnen das Ergebnis nicht passt.


Erwiderung Geulen


  • Ausmaß der Folgen des Zensus im Vorfeld nicht bekannt/erkannt.
  • Erst als die Zahlen kamen und die Methoden hinterfragt wurden, erkannte man die Fehler darin.
  • Fakten wie heute zur Verfügung stehen, waren gar nicht alle bekannt.
  • "Die Statistiker haben das alles so ausgeheckt."


Einwurf Richter Müller


  • Lässt sich der Vorwurf des Verfassungsbruchs aufrechterhalten, wenn das Gesetz doch im Konsens beschlossen worden ist (Bundestag und Bundesrat)?


Erwiderung Geulen


  • Erfahrungen und Ergebnisse der Volkszählungen der 80er Jahre ("ich habe damals hier als Klägervertreter beim Volkszählungsurteil gesesssen und mitgewirkt") sind nicht systematisch aufgearbeitet worden.
  • Es gab gar keine Forschungsergebnisvorlage als Folge des Zensustests 2001 beim Gesetzgebungsprozess 2009.
  • Der Gesetzgeber ist nicht ausreichend vorbereitet worden.
  • Es gab keine wissenschaftliche Vorlagen z.B. an den Bundestags-Innenausschuss. Wir sind im Vorfeld nicht ausreichend vorbereitet worden.


Dr. Tim Hoppe, Statistikamt Magdeburg (für die Antragssteller Berlin und Hamburg)


  • Die Vorbereitungstreffen der Statistiker mit Einbindung der Landes- und Städtestatistiker konnten inhaltlich gar nicht in diese Tiefe gehen.
  • Landesstatistikämter konnten gar nicht inhaltlich eingreifen.
  • Beispiel "0-Anschriften-Problematik": Die 0-Anschriften tauchten im April 2011 als Thema erst zum allerersten mal auf. Dann noch schnell Evaluierung dazu angeschoben, die aber viel zu spät, um noch in den laufenden Prozess eingreifen zu können.
  • Nicht ausreichend im Vorfeld nachgedacht.
  • 2013 hat Destatis auf Nachfrage von unserem Amt noch behauptet, dass es keinen Methodenbruch gegeben hat.
  • Damals ist uns in unserem kleinen Amt nach relativ kurzer Begutachtung schon aufgefallen, dass das ein Problem werden könnte.


Einwurf Richter Huber


  • Innenministerkonferenz (IMK) hat sich schon ab 1998 mit Zensus beschäftigt.
  • Dann folgten viele weitere Stationen, es gab also einen vorbildlich langen, 20jährigen Vorlauf.


Erwiderung Korioth


  • Ich habe nicht von "Verfassungsbruch" gesprochen, sondern von der Verfehlung verfassungsrechtlicher Maßstäbe. Das ist etwas ganz anderes.
  • Lange Zeit gab es eine Fixierung in allen Jahren der Zensus-Gesetzgebung auf die Frage, wie der Zensus ohne Proteste umgesetzt werden kann.


Mittagspause (13:37 - 15:00 Uhr)


C./D. Zulässigkeit und Begründetheit


Statement Korioth


  • Verfassungsgebot zur möglichst genauen Bestimmung der EW-Zahl und -Verteilung.
  • Man könnte zwar (bspw. in Hamburg) eine landeseigene Volkszählung bzw. EW-Bestimmung vornehmen, die Anwendung derer Ergebnisse bliebe aber auf Landesrecht beschränkt.
  • Gesetzgeber hätte Stichprobenregelung und die Behandlung der Sonderbereiche ins Gesetz mit aufnehmen müssen, denn Kombination der Methoden neigen zu Fehleranfälligkeit.
  • Gesetzgeber hätte den Methodenmix erproben (lassen) müssen.
  • Sorgfaltspflicht verletzt.


Einwurf Richter Voßkuhle


  • Gesetzgeber hat keine Pflicht, sich besonders schlau zu machen.
  • "Sorgfaltspflicht" ist verfassugsrechtlich bedenklich.


Erwiderung Korioth


  • Besondere Sorgfalt bei Gesetzgebung immer dann erforderlich, wenn es um Zahlen, um Berechungsgrundlagen geht.


Einwurf Richter Huber


  • "Der Gesetzgeber kann durchaus schlechte Gesetze machen. Macht er auch."


Erwiderung Korioth


  • Es gibt ca. 100 Gesetze, in deren Wirkung die Höhe und Verteilung der EW eingeht.
  • Deswegen besonders große Bedeutung der Ermittlung der EW-Zahl zuzumessen.


Einwurf Richter Huber (oder Müller?)


  • Ist der Gesetzgeber in der Pflicht, bei dieser wichtigen Frage auch die Methodik der statistischen Erhebungsmethode vorzugeben?
  • Oder ist das gewählte System, diese Fachfrage zu delegieren und wie im konkreten Fall die Installation eines "lernenden Systems" von sich auch nach Gesetzgebung weiter entwickelnder Statistik und deren Anwendung nicht das bessere?


Erwiderung Korioth


  • Da es sich um eine singuläre Abarbeitung einer Aufgabe handelt (Zensus 2021 kriegt eigenes, neues Gesetz, läuft ganz anders ab), muss Gesetzgeber auch die Erhebungsmethodik genau festlegen.


Statement Geulen


  • Gesetzgebungsverfahren zum Zensus 2011 ist definitiv so abgelaufen, weil nicht methodisch ausreichend informiert wurde vorher.
  • Deswegen Fehler: Systembruch und Nicht-Erprobung des gesamten Erhebungsverfahrens.
  • Wissenschaftliche Begleitung war noch gar nicht abgeschlossen, als Gesetzgebung schon durch war: "Work in progress".
  • Im Gesetz steht nur etwas von der Kombination von Registerdatenzusammenziehung in Kombination mit Stichprobenbefragung [Prinzip des registergestützten Zensus], nichts aber vom Systembruch.
  • Methodenbruch ist im Zensus-Kontext nicht vorher erprobt worden.


Einwurf Huber


  • Wundert mich, dass das GIS hier überhaupt nicht vorkommt.
  • GIS könnte man auch als Rechtfertigung für den Systembruch anerkennen/berücksichtigen:
  • Ohne Systembruch, also auch bei durchgängiger Stichprobenbefragung auch bei Gemeinden mit <10.000EW hätten dort weit mehr als 10% der Leute befragt werden müssen [Sarreither sprach von ca. 50%, in der Verhandlung wurde seitens der Beklagten nun öfters der Eindruck vermittelt, als müsste dort eine Vollbefragung stattfinden, was 4,2 Millionen mehr Befragungen zur Folge gehabt hätte.]
  • Der Methodenwechsel bei Gemeinden <10.000EW hat dafür gesorgt, dass weniger in das GIS eingegriffen wurde.


Erwiderung Geulen


  • Zum GIS: "Aber die Dinge liegen doch heute ganz anders!" Der technologische Fortschritt hat dafür gesorgt, dass sich die Leute besser gegen Datenmissbrauch schützen können. [o_O]
  • "Anonymisierung von Zahlen ist ein ganz hervorragendes Mittel, die Grundrechte zu schützen." [Vermutlich meinte Herr Geulen eher die Pseudonymisierung und nicht Anonymisierung.]
  • "Wo sind denn die Menschen, die hier beim Zensus 2011 ihr GIS ahrnehmen, wo sind denn die Menschen, die dagegen protestiert und geklagt haben?" [Im AK Zensus, Herr Geulen, da sind sie auch, aber nicht nur.]


Statement Prof. Dr. Martin Eifert für die Bundesregierung


  • 4,2 Millionen Menschen wären befragt worden, wenn Gemeinden mit <10.000EW per Stichprobe befragt worden wären. Durch die Verhinderung dieser umfangreichen Befragungen wurde GIS besser geschützt.


Einwurf Richter Huber


  • Müsste man nicht die Löschungsfristen revidieren, großzügiger auslegen, um Rechtsverstöße hinterher besser ahnden zu können?


Erwiderung Eifert


  • Ja, aber nur beschränkt und nur zum Zweck einer späteren Evaluation des Zensus bzw. seiner Methodik.
  • GIS sorgt explizit für frühe Löschung personenbezogener Volkszählungsdaten, damit die breite Masse der Bevölkerung auch weiterhin dem Zensus vertraut und diesen akzeptiert.
  • Wenn das Zensus2011-Ergebnis infrage gestellt werden würde, würde man im Gesamten nur noch mehr Ungerechtigkeit erzeugen, weil dann die alten, noch ungenaueren, seit den 80er Jahren fortgeschriebenen Zahlen zum Einsatz kämen.
  • Deswegen kommt das nicht in Frage, die Zensus2011-Zahlen nicht einsetzen zu wollen.


Einwurf Korioth


  • Es gibt ganz eindeutig eine Ungleichbehandlung durch die unrichtigen Zensus-Ergebnisse.
  • Stellt sich nur die Frage, ist diese rechtfertigbar.
  • Man könnte sogar eine gegenteilige Stellung als die unbelegte Behaputung der Statistiker einnehmen, nämlich dass die Qualität derer Meldedaten inzwischen schlechter ist als die von Großstädten, weil letztere mittlerweile aufgrund verschiedener Maßnahmen ihre Meldeamtsdaten erheblich verbessern konnten.
  • Auch das GIS ist relevant! Das OVG Münster hat geurteilt: Das Zensusgesetz ist bipolar gedacht, konzentriert sich im wesentlichen auf die Fragen zum Verhältnis von Bürger und Staat, ohne ausreichend auf die gerechte Behandlung von Kommunen zu achten.
  • Größerer Eingriff in GIS bei mehr Befragungen gar nicht gegeben! Denn GIS ist schon massiv dadurch beeinträchtigt, dass von allen EW deren Meldedaten zusammengetragen worden sind, ohne dass diese gefragt oder ausreichend darüber informiert gewesen sind.
  • [Richter Müller/Huber widerspricht: Substantieller Unterschied, ob nur Datenzusammentragung oder direkte persönliche Befragung von vielen Menschen.]
  • Die zusätzliche Stichproben-Befragung der Gemeinden mit <10.000EW hätte 50 Millionen Euro mehr gekostet. Das ist in Anbetracht der Fehlsummen der großen Städte sehr gering.


E. Rechtsfolgen


Dr. Matthias Kollatz-Ahnen, Finanzsenator von Berlin


  • Bei den Beratungen über das Thema bei uns im Senat haben wir drei Forderungen markiert, in der Reihenfolge absteigender Wichtigkeit/Bedeutung für uns:
  • a. So ein Zensus darf sich [2021 ff.] nicht wiederholen. Das ist unsere wichtigste Forderung.
  • b. Die vom Zensus 2011 gesetzte Basislinie [Stw. Methodenbruch] muss korrigiert werden.
  • c. Ausgleichszahlungen? "Kann man die Vergangenheit korrigieren? Wohl nicht."
  • Für uns waren die Verwerfungen im Haushalt durch die Zensusergebnisse sehr schwierig:
  • Wir mussten im Haushalt 2013 950 Millionen Euro mobilisieren, und das bei einem Gesamthaushalt in Höhe von 24 Milliarden Euro!


Dr. Peter Tschentscher, Senator und Präses der Finanzbehörde Hamburg


  • Für Hamburg bedeuten die Zensusergebnisse, dass in 2013 220 Millionen Euro im Haushalt fehlten. Das wirkt mit Zinsesfolgen bis heute nach.
  • Unsere Vorstellungen zu den Rechtsfolgen, ebenfalls in absteigender Wichtigkeit:
  • a. In Zukunft muss der Zensus sorgfältiger geregelt werden.
  • b. Man muss sich zusammensetzen, um das zu besser zu regeln als zuvor.
  • c. Vergangenheitsproblem muss bereinigt werden, finanziell muss man den betroffenen Städten entgegenkommen.


Einwurf Richter Voßkuhle


  • Gerichtsergebnis könnte höchstens sein, dass die Zahlen von 2011 keine Anwendung mehr finden.
  • Nachberechnung aus Zensus2011-Daten ist nicht möglich.
  • Wichtig: Neue Zensusmethoden könnten ggf. sogar schlechteres Ergebnis für die Städte bringen als bislang schon, haben sie das bedacht?


Erwiderung Tschentscher


  • Wir würden jedes Ergebnis akzeptieren, wenn dieses nachvollziehbar gerechter/zuverlässiger wäre.
  • Möchte noch unbedingt darauf hinwiesen: Bei den ständigen Ringen und Streiten in Bund-Länder-Konferenzen um föderale Finanzverteilungen und Finanzausgleich gab es bislang nur einen einzigen Punkt, über den sich alle einig waren: Den Maßstab der EW-Verteilung. Wäre sehr schlimm, wenn EW-Zahlen nun ins Zwielicht geraten, nicht mehr als sicher und vertrauenswürdig gelten!
  • Es ist wichtig, dass zukünftige Zensen so gestaltet wird, dass die Gemeinden die EW-Zahl-Ermittlung nachvollziehen können! [Wichtig: Dieses Argument der Nachvollziehbarkeit der Zensusvorgänge kam bislang in der Verhandlung nicht. Es ist zweischneidig.]


Einwurf Kollatz-Ahnen


  • Das Problem betrifft ja auch nicht nur Hamburg und Berlin, sondern ganz viele große Gemeinden und Städte. Hier nur stellvertretend.


Geulen


  • Explizite Forderung, die Zensus2011-Daten nicht zu nutzen und bei der Finanzverteilung auf die weiter aus den 80er Jahren fortgeschriebenen Daten zu setzen!
  • Das wäre technisch nur ein sehr kleines Problem.


Eifert


  • Die Sachverständigen vor Gericht [Anmerkung: sicherlich nicht ganz unbefangen!] sind sich sicher, dass die neuesten Zahlen des Zensus 2011 mit Abstand die besten/genauesten sind.
  • Deswegen weiter auf diese Zahlen setzen.
  • Abwägung der aus einer Weiterfortschreibung der 80er-Jahre-Zahlen sich ergebenden Ungerechtigkeiten erforderlich!


F. Abschließende Stellungnahmen


  • Keine!


Ende der mündlichen Verhandlung. (17:24 Uhr)


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Zuletzt geändert am 26.10.2017 00:25 Uhr