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Kritik-Par-32-NPOG-E

Kritische Stellungnahmen im Innenausschuss des Nds. Landtags zum §32 NPOG-E (zumeist vom August 2018 stammend, in chronologischer Reihenfolge).

Quellen dazu im Gesamten hier: https://wiki.freiheitsfoo.de/pmwiki.php?n=Main.NPOG-Materialien#toc2


Netzwerk Datenschutzexpertise


https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/BR_2018_NPOG.pdf

Zu § 32 Abs. 1

Die Regelung zur Audio- und Videoüberwachung bei öffentlichen Veranstaltungenist uferlos und zu unbestimmt. Anhaltspunkte für mögliche Straftaten und nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten sind bei öffentlichen Veranstaltungen fast immer gegeben und leicht zu konstruieren. Die vorgesehene Überwachung greift massiv in die Freiheitssphäre der Menschen ein, was dazu führt, dass sie sich bei diesen öffentlichen Ereignissen nicht frei verhalten können. Es ist nicht erkennbar, wie die vorgesehene Überwachung eine präventivpolizeiliche Wirkung entfalten kann. Eine Abwägungsregelung wäre zumindest geboten, bei der auch die Betroffenheit Dritter sowie der Charakter der jeweiligen Veranstaltung mit berücksichtigt wird.

Zu § 32 Abs. 2

Die schon geltende Regelung, wonach eine verdeckte Überwachung im öffentlichen Raum zulässig ist, „wenn die offene Anfertigung dazu führen kann, dass die Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten an anderer Stelle, zu anderer Zeit oder in anderer Weise begangen werden“, lädt generell zur verdeckten Überwachung ein. Verdrängungseffekte durch die Offenheit einer Videoüberwachung lassen sich nicht ausschließen. Die Regelung sieht nicht einmal aus Rechtsschutzgründen unabdingbare Pflichten der Dokumentation, der Berichts- und der Rechenschaftslegung vor. Die Erkennbarkeit der Überwachung im öffentlichen Raum ist ein absolutes Muss. Dadurch ergeben sich im Übrigen präventive Wirkungen. Die Regelung ist zu streichen und durch eine Sicherstellung der Offenheit der Maßnahme zu ersetzen.

Zu § 32 Abs. 4

S. 2, 3 u. Abs. 5 Die Datenerhebung mit Bodycams bei polizeilichen Einsätzen wird zu weitgehend erlaubt.

Die in Abs. 5 S. 2 vorgesehene Zeit für das sog. Prerecording von 30 Sekunden wird anlasslos zugelassen, wenn nach Abs. 4 S. 2 die generelle Feststellung gemacht wurde, dass der Einsatz von Bodycams „zum Schutz von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten oder Dritten“ erforderlich ist. Um eine derartige Dauerüberwachung einzuschränken, sollten zumindest in Abs. 2 S. 2 nach dem Wort „Umständen“ die Worte „in der konkreten Situation“ eingefügt werden.

Zu § 32 Abs. 7

Für die Nutzung von Bildübertragungen zur Lenkung und Leitung des Straßenverkehrs ist eine personenbeziehbare Erfassung nicht nötig. Daher wird vorgeschlagen, hinter das Wort „Bildübertragung“ die Worte „in Übersichtsform“ aufzunehmen.


freiheitsfoo


https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/20180728stellungahme-freiheitsfoo-NPOG-anon.pdf

§32 (3) NPOG-E: Bildübertragung aus öffentlich zugänglichen Räumen

Es ist nachvollziehbar und erfreulich, dass eine Änderung dieses Paragraphen vorgenommen werden soll. Denn das Verwaltungsgericht Hannover hat einen Teil des dritten Absatz des jetzt noch gültigen Paragraphen mehrfach als verfassungswidrig bewertet.

Weniger erfreulich ist die nun formulierte Regelung, dass jeder Bereich des öffentlichen Raums dann dauerhaft polizeilich mittels Videoüberwachung erfasst werden darf, wenn dort "nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten" begangen worden sind oder im Zusammenhang mit einem "Ereignis" solche begangen werden können. Diese dermaßen pauschale Befugniserteilung führt tatsächlich zur zumindest theoretischen, formellen Zulässigkeit einer flächendeckenden oder beinahe flächendeckenden staatlichen Videoüberwachung des öffentlichen Raums. Diese Weite der Regelung ist verfassungsrechtlich unhaltbar.

Bei dieser Gelegenheit möchten wir zudem auf die (erneuten!) jüngsten Ergebnisse nüchterner kriminologischer Betrachtungen und Untersuchungen zur Wirksamkeit von Videoüberwachung bezüglich der Verhütung von Straftaten hinweisen. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. (KFN) stellt in einer aktuellen, gemeinsam mit dem LKA NRW (!) erstellten Studie [7] im Juni 2018 nüchtern fest:

"Der wissenschaftliche Nachweis eines allgemein kriminalitätsreduzierenden Effekts der Videoüberwachung konnte bisher allerdings nicht überzeugend geführt werden. Für städtische und zentrumsnahe öffentliche Plätze fallen die Effekte sehr unterschiedlich aus, lediglich für die Eindämmung der Kriminalität in Parkhäusern und auf Parkplätzen sowie des Raubes und Diebstahls im öffentlichen Personennahverkehr erweist sich die Videoüberwachung nach bisherigen Befunden als wirksam (Welsh & Farrington, 2009). Bezüglich des Nutzens für die polizeiliche Ermittlung und Aufklärung ist die Befundlage uneindeutig."

Vor diesem Erkenntnishintergrund werden die in den Absätzen 3 bis 7 deutlich erweiterten Befugnisse zur polizeilichen Videoüberwachung schwer infrage gestellt bzw. erscheinen sie bei ruhiger Analyse als unsinnig und unverhältnismäßig.

Eine "maßvolle Erweiterung" der Vorschrift, wie das die Begründung des NPOG-E meint kokett wie selbstbewusst feststellen zu können, ist das alles jedenfalls nicht! Seit Jahren offen angesprochen und ebenso lang (und ebenfalls im NPOG-E) ungelöst und gänzlich unangesprochen bleibt die Lösung des praktischen Problems, wie denn eine rechtlich zulässige und ausreichende Kennzeichnung der temporär überwachten öffentlichen Räume tatsächlich vorgenommen werden kann. Eine klare Aussage hierzu wäre wünschenswert, ist doch andererseits erfahrungsgemäß zu befürchten, dass die im Satz 2 dieses Absatzes geforderte Kennzeichnung polizeilicher Videoüberwachung in diesem Fall nicht oder erst nach dem Gang vor Gericht verwirklicht wird.

Noch eine formelle Anmerkung: Der § 6b BDSG, auf den sich die der Gesetzentwurf bzw. dessen Begründung auf Seite 54 der Landtags-Drucksache bezieht - dieser Paragraph existiert überhaupt nicht mehr.

§ 32 (4) und (5) NPOG-E: Einsatz von Bodycams inkl. Tonaufzeichung und Pre-Recording

Die Sätze 2 ff. des §32 (4) NPOG-E stellen eine Öffnungsklausel zum Einsatz von Bodycams für Polizeistreifen dar, obwohl die bisherigen Einsätze solcher Kamerasysteme in anderen Bundesländern - anders als von den Bodycam-Befürwortern fälschlicherweise immer wieder öffentlich behauptet - überhaupt keinen Nachweis eines sinnvollen Einsatzes dieser Systeme erbracht haben.

Dass beispielsweise die Rahmenbedingungen des Pilotprojektes in Hessen derart unprofessionell gelegt worden sind, dass überhaupt keine Aussage über die Effekte von Bodycams getroffen werden kann, weil (unter anderem) die Polizeikräfte des Pilotprojektes im Vorfeld eine besondere Ausbildung in Sachen Deeskalation erhalten haben und sich somit ein Vergleich mit anderen Polizeistreifen nicht ziehen lassen kann, haben wir in unserer Stellungnahme an den schleswig-holsteinischen Landtag [8] ausführlich dokumentiert.

Daraus möchten wir in Kürze lediglich unsere Kernhaltung und deren Begründung zitieren, die auch als Stellungnahme für den § 32 (4) und (5) gilt:

"Wir lehnen den Einsatz von "Bodycams" ("Körperkameras"), also i.A. kleinen, an der Uniform der Polizeibeamten und -beamtinnen befestigten Kameras mit Aufzeichnungsfunktion grundsätzlich ab - erst recht dann, wenn diese Technik allgemein und anlasslos vorgehalten und eingesetzt werden können soll. Wir begründen unsere Haltung in der Hauptsache wie folgt:

I.) Der Einsatz von Bodycams greift - unabhängig von der Frage, ob die Kameras in Betrieb sind oder nicht - tief in die Persönlichkeitsrechte derjenigen Menschen ein, die den damit ausgerüsteten Polizeibeamten begegnen.

II.) Bodycams führen zu einer Erhöhung des allgemeinen Überwachungsdrucks, der auf allen Menschen lastet, die sich im öffentlichen Raum bewegen.

III.) Bodycams erzeugen eine zusätzliche Distanz zwischen den Menschen bzw. Bürgern des Landes und den Polizeibeamten, denen sie begegnen. Das führt zu einer Entfremdung, zu mehr Misstrauen, zu weniger "Miteinander" und zu einer allgemeinen Verringerung der Akzeptanz der Polizei und deren Handeln.

IV.) Die Einführung von Bodycams stellt nichts anderes als eine weitere Eskalationsstufe im "Überwachungs-Rüstungs-Wettlauf" zwischen staatlichen Autoritäten einerseits und den Menschen bzw. Bürgern auf der anderen Seite dar.

V.) Eine Einführung von Bodycams wäre nichts anderes als die Manifestierung einer weiteren Facette des Obrigkeitsstaates, seine Bürger bei staatlichen Handlungen jederzeit und allumfassend zu kontrollieren. Unsere Vorstellung eines gesellschaftlichen, friedlichen Zusammenlebens ist eine andere und wir lehnen uns dabei an eine Äußerung des Hannoveraner NS-Widerstandskämpfers Otto Brenner an: "Nicht Ruhe, nicht Unterwürfigkeit gegenüber der Obrigkeit ist die erste Bürgerpflicht, sondern Kritik und ständige demokratische Wachsamkeit." Der Einsatz von Bodycams wirkt repressiv und mag aus der Sicht der Befürworter zu "mehr Kooperationsbereitschaft gegenüber den Polizeibeamten" führen, wie es seitens der hessischen Polizei gebetsmühlenartig vorgetragen wird. Das mittels Videoüberwachungs-Repression erzwungene Duckmäusertum bewirkt tatsächlich allerdings genau so wenig "Kooperationsbereitschaft" wie "Akzeptanz". Beide so sehnlichst gewünschten Effekte beruhen nämlich auf Freiwilligkeit und einem Handeln auf gemeinsamer Augenhöhe."

Und auch:

  • "Viele praktische Fragen beim Einsatz von Polizei-Bodycams bleiben offen oder werden gar nicht erst gestellt:
  • Wie kann eine den Anforderungen des technischen Datenschutzes genügende Kennzeichnung der mit Bodycams ausgerüsteten Polizeibeamten aussehen?
  • Ist eine den Kennzeichnungsregeln genügende Praxis überhaupt denk- und umsetzbar, die allen Passanten - egal aus welcher Richtung und in welchem Tempo sich den Bodycam-Polizisten nähernd - eine rechtzeitige Wahrnehmung der potentiellen Videoüberwachung und die dazugehörigen Chance zum Ausweichen - denn das ist der rechtliche Hintergrund der Videoüberwachungskennzeichnung! - ermöglichen kann?
  • Wie fühlen sich diejenigen Polizeibeamte, die eine entsprechende Kennzeichnung mit sich tragen müssen und wie verändert diese Maßnahme ihr Handeln und ihren Arbeitsalltag?
  • Wie und wo werden die Daten gespeichert?
  • Werden die Daten auf den Informationsspeichern verschlüsselt abgelegt und wenn ja, handelt es sich um eine ausreichend gesicherte und zugleich praktikable und sinnvolle Form von Datenverschlüsselung?
  • Wie sind die Zugriffsregeln auf die Daten definiert: Darf oder soll z.B. der die Bodycam tragende Polizeibeamte ein Recht oder die Möglichkeit zur Entscheidung darüber besitzen, welche Bilder und Aufzeichnungen weitergegeben und polizeilich genutzt werden können und welche nicht?
  • Wie kann gewährleistet werden, dass alle von Polizei-Bodycams aufgezeichneten Menschen ihr Recht aufs eigene Bild, also ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung wahrnehmen können? Mittels welcher Prozedur, auf welchem Wege und mit welchem Aufwand kann ein videografierter Passant seine Bilddaten abrufen oder einfordern?
  • Wie soll gewährleistet werden, dass etwa für Polizeibeamte "ungünstige" Aufzeichnungen nicht von diesen selber oder von deren Vorgesetzten gelöscht oder nicht weitergegeben werden?
  • Inwiefern greifen die Bodycam-Aufnahmen in die Persönlichkeits- oder Arbeitsrechte von Polizeibeamten ein, die sich bspw. gegenseitig filmen?
  • Erhalten die Polizeibeamten die Wahlfreiheit bei der Entscheidung, ob sie ihren Dienst lieber mit oder ohne Bodycam durchführen möchten? Mit Blick auf die Ausgangslage und die vorgebliche Begründung für den Einsatz der Bodycams wäre diese Wahlfreiheit doch wohl eine Selbstverständlichkeit!
  • Wie meint man den Missbrauch oder die Manipulation von Bodycam-Aufzeichnungenverhindern zu können?"

Ergänzend dieser Stellungnahme (und als Anlage hinzugefügten Dokument) aber noch folgendes, konkret auf den NPOG-E bezogenes an Detailkritik:

a.) Die Bibliothek des Niedersächsichen Landtags hat ein aktuelles Buch zum Thema BodyCams in ihrem Bestand:

Jens Zander: "Body-Cams im Polizeieinsatz", Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt am Main 2016 (Landtags-Bibliotheks-Signatur 2016.0454)

Wir empfehlen allen Mitgliedern des Ausschusses die Lektüre dieser überschaubar dicken Schrift und zitieren hier zum einen aus dem Teil zur Untersuchung der Wissenschaftlichkeit der hessischen Studie und aus dem Fazit des Verfassers, der selber Polizeibeamter ist:

Jens Zander zur Validität der so vielfach und repetierend veröffentlichten Erfolgsmeldungen des Hessischen Pilotprojekts in Frankfurt:

"Dass der Abschlussbericht bislang nicht direkt veröffentlicht wurde, sondern dass stattdessen positive Pressemeldungen des Hessischen Innenministeriums über das erfolgreiche Pilotprojekt dominieren, sollte hinsichtlich der Objektivität aufhorchen lassen. (...) Der Verdacht einer bewusst möglichst positiven Darstellung ohne Interesse an einer wirklichen Evaluation drängt sich auf. (...) Wie eingangs erwähnt, ist das Pilotprojekt [der Polizei Hessen] nicht zuletzt aufgrund des Einsatzes von nur drei Kameras in Alt-Sachsenhausen methodisch nicht in der Lage, gesicherte Erkenntnisse zu erlangen. Das Projekt auf dem Niveau 2 [im möglichen Niveaubereich 1 bis 5] der MSMS eignet sich auch nach Hinzuziehung weiterer Daten weder als Nachweis für oder gegen die Wirksamkeit der Body- Cam."

Jens Zanders Schlußbemerkung in seinem Buch (Hervorhebung durch uns):

"Eingangs wurde erwähnt, dass es sich bei Body-Cams um wahre Wundermittel zu handeln scheint. Nach umfangreicher Beschäftigung mit Body-Cams im Polizeieinsatz komme ich zu dem Schluss, dass diese anfangs erwähnte begeisterten Erwartungen gedämpft werden müssen. Body-Cams entpuppen sich nicht als Wundermittel, sondern als technische Neuerung, die vergleichsweise wenig und dürftig erforscht ist. Bei näherer Betrachtung der Güte der vorhandenen Studien weicht die anfängliche Euphorie eher Ernüchterung. Zwar deuten sich einige Effekte an, die aber eher unspektakulär sind, zumal bei keiner Forschung die Übertragbarkeit auf Deutschland gewährleistet und der Langzeiteffekt berücksichtigt werden kann. Im Zuge der Einfiihrung der Body-Cam kann gleichfalls beobachtet werden, was andere Autoren vor Jahren schon zu herkömmlicher Videoüberwachung angemerkt haben. Töpfer schrieb dazu passend vor acht Jahren:

„Wesentliche[s] Element der Anziehungskraft von Videoüberwachung sind die Faszination für neue Technik und der naive Glaube an die einfache Lösung komplexer sozialer Probleme []. Genährt werden solch technologische Allmachts- und Machbarkeitsfantasien durch die oberflächlichen Hochglanz-Versprechen von Entwicklern und Herstellern und ihren Marketingabteilungen und Lobbyisten.“ (Töpfer 2007: S. 38)

Diese Einschätzung lässt sich abschließend treffend auf Body-Cams im Polizeieinsatz übertragen. Bislang scheint die Diskussion über die Einführung von Body-Cams in Deutschland eher vom Glauben an deren Wirksamkeit geprägt zu sein, als von wissenschaftlichen Erkenntnissen."

b.) Wie in der mündlichen Anhörung ihres Ausschusses zum zuvor unter Rot-Grün geplanten NGefAG vom 17.11.2016 deutlich geworden ist, ist die Einrichtung einer neutralen Stelle zur Sammlung und Auswertung der BodyCam-Aufzeichnungen eine der Mindestanforderungen, um die Polizeibeamte nicht der Gefahr auszusetzen, dass diese willkürlich oder gar auf den eigenen Vorteil zielend BodyCam-Aufzeichnungen der Öffentlichkeit, den Strafverfolgungsbehörden oder den Betroffenen Aufzeichnungen löschen oder nur diejenigen weiterreichen würden, die ihnen selber nicht zum Nachteil gereichen können. Ebenso wie die Verpflichtung zur Einrichtung einer solchen Stelle fehlen sämtliche Vorgaben zu Regelung der Fragen, wann und auf wessen Entscheidung hin die BodyCam-Aufzeichnung aktiviert wird, wie die Daten behandelt und gegen Missbrauch und Manipulation gesichert werden und ob von der Aufzeichnung Betroffene ein Recht auf Herausgabe der Daten haben und wie sie dieses umsetzen können.

Zu alledem schweigt sich der NPOG-Gesetzentwurf sträflich aus, was die Befürchtung nährt, dass die Einhaltung derart wichtiger Randbedingungen nicht ernst genommen und nicht umgesetzt werden wird.

c.) In der Begründung für das im Absatz 5 als zulässig deklarierte 30sekündige PreRecording von Bild und Ton der BodyCams heißt es in der Begründung zum NPOG-E:

"Die Pre-Recording-Funktion führt bei den Betroffenen zu einem Grundrechtseingriff. Angesichts der sehr kurzen Aufnahmezeit von 30 Sekunden, der unwiderruflichen Löschung durch spurenlose Überschreibung, wenn die Bodycam nicht aktiviert wird, handelt es sich um einen flüchtigen, oberflächlichen Eingriff, der verfassungsrechtlich unbedenklich erscheint."

Das sehen wir anders: Einen "flüchtigen und oberflächlichen Grundrechtseingriff" können wir nicht erkennen, ob es solche überhaupt geben kann, wäre eine andere zu diskutierende Frage. Alleine das 30 Sekunden lange PreRecording des gesprochenen Wortes aus dem Umfeld des BodyCam-Trägers könnte mit nicht allzugroßer Übertreibung als permanenter Lauschangriff im öffentlichen Raum bezeichnet werden. Wie auch immer: Verfassungsrechtlich unbedenklich ist das genau nicht, sondern zumindest verfassungsrechtlich diskutabel. Eine entsprechende Diskussion dazu wurde im parlamentarischen Betrieb dazu (wie auch zu allen anderen Grundsatz- und Randbedingungsfrage) jedoch ausgeblendet oder sogar aktiv unterbunden. Als Grundlage für diese Behauptung verweisen wir auf unsere verstörenden Erfahrungen mit dem ad hoc aus dem Boden gestampften BodyCam-Pilotprojekt im Dezember 2016, die eine wissenschaftliche Begleitung und Analyse des Nutzens der polizeilichen BodyCams unmöglich machte - ganz anders als in der Innenausschuss-Anhörung vom November 2016 von vielen Ausschuss-Mitgliedern immer wieder zur Beruhigung versichert worden ist [9].

d.) Erstaunlich finden wir, dass keiner der gewerkschaftlichen Interessenvertreter von Polizeibeamten bislang die Frage angesprochen hat, inwiefern die die BodyCam einsetzenden Polizeibeamte selber unter dieser Technik ggf. zu leiden haben - sei es aufgrund des damit neu hinzukommenden subjektiven Überwachungsdrucks, sei es aufgrund der ggf. mit der Einführung erfolgenden "Aufrüstung" auf der Seite der von der Polizei-Videoaufzeichnung Betroffenen ("Gegenfilmen"). Und auch die Fragen des betrieblichen Daten- und Persönlichkeitsschutzes der Polizeibeamten kamen bislang leider weder im Innenausschuss, noch im Plenum, noch in der Gesetzesbegründung überhauptzur Sprache.

e.) Wir möchten den Vorschlag von Prof. Nils Zurawski von der Universität Hamburg aus der Innenausschuss-Sitzung vom November 2016 in Erinnerung rufen und unterstützen, die Einführung einer BodyCam-Einsatzbefugnis unbedingt mit einer Ausstiegsklausel zu versehen. Das zumindest wäre eine etwas vertrauensbildende Maßnahme.

Aufgrund der bisherigen negativen Erfahrungen mit Pilotprojekten zu BodyCam-Einsätzen in Deutschland (Unwissenschaftlichkeit, Grundlage zur Ausdehnung dieses Mittels unabhängig vom Ergebnis der Pilotversuche) lehnen wir grundsätzlich jegliche Allgemeinbefugnis zum Einsatz von BodyCams ab und fordern die Streichung dieses Absatzes.

§32 (6) NPOG-E: Kfz-Kennzeichen-Scanning (alte Regelung übernommen)

Wir nutzen die Gelegenheit dieser Stellungnahme, um die bisherige wie auch neu geplante Regelung zur Zulässigkeit von Kfz-Kennzeichen-Scannern zu kritisieren und deren Streichung zu fordern.

Bekanntermaßen hat das Bundesverfassungsgericht bereits 2008 in einem Urteil die Beschränktheit des Einsatzes solcher Kfz-Kennzeichen-Lesegeräte ausdrücklich formuliert und zuvor in Hessen und Schleswig-Holstein gängige Praktiken als verfassungswidrig verurteilt [10].

Derzeit sind mehrere Verfahren gegen Landespolizeigesetze, die die Befugnis zum Einsatz von Kfz-Kennzeichen-Scannern und den Einsatzbedingungen regeln, anhängig.

Wir fordern die niedersächsische Landesregierung dazu auf, diesen Absatz des § 32 zu streichen oder dessen Anwendung zumindest solange auszusetzen, bis eine höchstrichterliche Entscheidung gefallen ist.

§32 (7) NPOG-E: Videoüberwachung von Straßenverkehrswegen

Der §32 (7) ist offensichtlich der Versuch, die bislang rechtswidrig betriebenen Polizei- Verkehrsüberwachungskameras nachträglich zu legalisieren. Dieses ist jedoch offenkundig verfassungsheikel bis -widrig, weil der mit der Videoüberwachung verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dem genannten Grund bzw. der angeführten Notwendigkeit der Überwachung ("zur Lenkung und Führung des Straßenverkehrs") eindeutig zu schwer wiegt. Außerdem ist es fraglich, ob diese Begründung juristisch zulässig ist. Ist es tatsächlich die hoheitliche Aufgabe der Polizei, dementsprechend (vorgeblich) präventiv-regelnd in den Straßenverkehr einzugreifen?

Mit gleichem Argumentationstenor ließen sich zahlreiche, um nicht zu sagen flächendeckende Zulässigkeiten zum Einsatz polizeilicher Videoüberwachung (schein)begründen. Abschließend (aber nachrangig) halten wir die allzu lässige Formulierung "Die Bildübertragung ist kenntlich zu machen" für unzureichend: Hier wäre eine genauere Beschreibung der Anforderungen, wie z.B. das rechtzeitige, ein Ausweichen ermöglichende Hinweisen, notwendig. Bei genauerer Betrachtung erweist sich diese Anforderung nämlich als unerfüllbar. Die Intention dieser seit Bestehen des ehemaligen §6b BDSG verankerten Forderung war (und ist!) nämlich diese, den den videoüberwachten Bereich betretenden bzw. befahrenden Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, dieser auszuweichen. Was für Fußgänger und anderweitig nicht motorisiert sich fortbewegende Menschen noch praktikabel ist lässt sich nicht oder zumindest nicht ohne weiteres auf den Straßenverkehrsteilnehmer ausweiten bzw. anwenden.

§32 (8) NPOG-E: Videoüberwachung zur Geschwindigkeitskontrolle (Section Control)

Dieser neue Absatz des §32 soll offenbar und erklärtermaßen das datenschutz- und persönlichkeitsschutzrechtlich von Anfang an wenig durchdachte Pilotprojekt der "Section Control" legalisieren. Wenig durchdacht deswegen, weil bspw. erst jüngst am 14.7.2018 vermeldet wurde [11], dass der seit drei Jahren fertig errichten Anlage nach wie seitens der PTB Braunschweig noch keine Betriebsgenehmigung erteilt worden ist.

Aber auch (und aus unserer Sicht: vor allem) aus persönlichkeitsrechlicher Sicht bleiben viele Fragen offen. Der Einsatz von Section Control Anlagen ist alleine deswegen fragwürdig, weil weniger grundrechtsinvasive Maßnahmen ganz außer Acht gelassen werden. Das Gebot der Datensparsamkeit wird bei Section Control Anlagen mit den Füßen getreten.

Wer daran glaubt, dass Section Control IT-Systeme penetrationsresistent seien und die darin wenn auch nur temporär, dafür aber massenhaft erfassten personenbezogenen Daten sicher vor Abgriff oder Manipulation sind, der hat aus den rasant zunehmenden Alarmmeldungen der Nicht-Integrität von IT-Systemen nichts gelernt.


Humanistische Union


http://www.humanistische-union.de/typo3/ext/naw_securedl/secure.php?u=0&file=uploads/media/HU2018-08-08_StellgnPolizeigesetzNDS_Endfassung.pdf&t=1533919020&hash=728350492c98ec2d3a9cb868329e1151

[Wendet sich schriftlich "nur" gegen § 32 (6) Body-Cam]


Fachgruppe Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte des ver.di-Landesbezirks Niedersachen/Bremen


https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/Stellungnahme_Polizeigesetz_verdi_RichterInnen.pdf

[Wendet sich schriftlich "nur" gegen § 32 (6) Body-Cam]


amnesty international


https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/Stellungnahme-NPOG-ai-28S.pdf

AUSWEITUNG DER VIDEOÜBERWACHUNG AUF ÖFFENTLICHEN PLÄTZEN, 5 32 NPOG-E

In § 32 sieht der Entwurf des Niedersächsischen Polizei— und Ordnungsbehördengesetzes erweiterte Möglichkeiten für die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen vor. So darf nach der neuen Regelung des § 32 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 NPOG-E Videoüberwachung an öffentlich zugänglichen Räumen künftig bereits dann stattfinden, wenn dort wiederholt Straftaten oder nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten begangen wurden und die Beobachtung zur Verhütung dieser Taten erforderlich ist.

Darüber hinaus ist eine Videobeobachtung nach § 32 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 NPOG-E möglich, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte“ die Annahme rechtfertigen, dass dort im Zusammenhang mit einem „Ereignis“ Straftaten oder nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten begangen werden.“ Bisher konnten die Sicherheitsbehörden lediglich Bilder von Orten aufzeichnen, an denen Straftaten von erheblicher Bedeutung oder gefährliche Körperverletzungen begangen werden. Das bedeutet, dass fortan Anhaltspunkte für Straftaten aller Art und nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten — auch Bagatelldelikte wie etwa Schwarzfahren oder Beleidigungen - eine Videobeobachtung ermöglichen.

EINGRIFF IN DIE PRIVATSPHÄRE

Die Videoüberwachung eines öffentlichen Raums greift nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG potentieller Besucher_innen des Platzes39 sowie in das Menschenrecht auf Privatsphäre aus Art. 8 EMRK ein. Betroffen ist insbesondere im Falle des Absatz 3 jede Person, die sich zufällig am überwachten Ort befindet, unabhängig von ihrem Verhalten oder dem Bestehen einer Gefahr oder eines Anfangsverdachts. Gerade diese Streuwirkung macht die Maßnahme besonders problematisch.40 Auch bei einer entsprechenden Kenntlichmachung kann nicht von einer Einwilligung in die Informationserhebung ausgegangen werden.“

VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT

Umso wichtiger sind daher ausreichende Schutzmechanismen, die die Verhältnismäßigkeit dieser Uberwachungsform sicherstellen:

Eine Mindestanforderung ist die Festlegung von Höchstfristen für die Datenspeicherung sowie von Löschungs- oder zumindest Überprüfungsfristen.42 Da weder zum aktuellen 5 32 NdsSOG, noch zum geplanten § 32 NPOG-E, explizite Regelung der (maximalen) Speicherfristen oder Löschvorgaben für das aufgenommene Videomaterial existieren, genügt die Regelung nicht den Anforderungen an die Rechtssicherheit und die Normenbestimmtheit. Selbst wenn die allgemeinen Vorschriften zur Löschung von personenbezogenen Daten Anwendung finden sollten, fehlt es gerade angesichts der erweiterten Möglichkeiten der Videoüberwachung an einer klaren Regelung. Nach § 28 NDSG und § 39a S. 1 NdsSOG sind Daten zu löschen, sobald festgestellt wirdl dass ihre Speicherung unzulässig ist, oder dass ihre Kenntnis zur Aufgabenerfüllung nicht erforderlich ist. Dies gewährleistet jedoch nicht die in Anbetracht der Eingriffsintensität erforderliche Rechtssicherheit und kann unverhältnismäßig lange Speicherungen von VideoaufZeichnungen auslösen. Das im Rahmen der Videoüberwachung bestehende Spannungsverhältnis zwischen dem Kontrollinteresse der Polizei und dem Datenschutz erfordert in besonderem Maße eine klare Regelung der Frage der zulässigen Speicherungsdauer.

Zur Verhältnismäßigkeitsanforderung gehört schließlich auch, dass es keinen anderen Weg geben darf, das Ziel zu erreichen, der die Grundrechte weniger einschränken würde. Es gibt aber plausible Hinweise darauf, dass z.B. eine bessere Beleuchtung öffentlicher Plätze sehr effektiv bei der Verhinderung von Straftaten ist.“3 Ein empirischer Beweis, dass mehr Videoüberwachung Orte sicherer macht, fehlt. Argumentiert wird häufig ausschließlich mit dem vermeintlich steigenden Sicherheitsgefühl, wenn Orte überwacht werden. Dies rechtfertigt jedoch nicht die massenhaften Eingriffe in die Privatsphäre, die durch Videoüberwachung passieren. Die begrenzte Wirksamkeit von Videobeobachtung wird auch von einer aktuellen Studie des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) belegt, die vom nordrhein-westfälischen Innenministerium in Auftrag gegeben wurde.“ Die Studie untersucht, wie effektiv Videokameras im öffentlichen Raum Kriminalität vorbeugen und wertet Daten aus mehreren Städten aus, in denen zwischen Ende 2016 und Anfang 2017 eine Videobeobachtung installiert worden war. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Videokameras nur in einer Stadt die Kriminalität (in geringem Ausmaß) reduzierten. Insgesamt war kaum eine messbare Wirkung auf das Kriminalitätsaufkommen festzustellen. Mit der Frage der Wirksamkeit der Videoüberwachung und damit ihrer Erforderlichkeit setzt sich der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung nicht auseinander, obwohl er offenkundig von einer Eignung zur Verhütung von Straftaten ausgeht. Angesichts der Tatsache, dass die Wirksamkeit Gegenstand einer aktuellen wissenschaftlichen Debatte ist, wäre dies aber zur Begründung der Erforderlichkeit notwendig gewesen.

Von besonderer Bedeutung ist darüber hinaus die Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts für Berufsgeheimnisträger_innen durch 5 313 NPOG-E. lm Zuge der Novellierung wird die Unzulässigkeit polizeilicher Datenerhebung bei Berührung des Berufsgeheimnisses i.S.d. §§ 53, 53a Strafprozessordnung (StPO) für sämtliche datensensiblen Maßnahmen in der zentralen Norm 9 31a NPOG-E neu geregelt. Problematisch ist, dass die Unzulässigkeit einer „Datenerhebung mit besonderen Mitteln“ nur gegeben ist, wenn sie sich gegen eine in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2, oder 4 Strafprozessordnung genannte Person oder RechtsanwäiLinnen richtet. Bei den weiteren in § 53 StPO genannten Berufsgeheimnisträger_innen wird im Rahmen einer Abwägung der Verhältnismäßigkeit über die Unzulässigkeit einer Maßnahme im Einzelfall entschieden. Von dieser Einschränkung des Berufsgeheimnisses betroffen sind u.a. Notar_innen, Ärzt_innen, Psychotherapeut_innen und Mitglieder von Schwangerschaftsberatungsstellen. Eine nachvollziehbare Begründung für die Absenkung des Schutzniveaus für diese Berufsgruppen fehlt.

[Hinweis: Text via OCR erstellt bzw. aus dem ai-PDF befreit, möglicherweise fehlerbehaftet. ai wendet sich weiterhin auch gegen BodyCams, siehe dazu im Detail den Link oben.]


DGB


https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/Stellungnahme-NPOG-DGB-6S.pdf

[Wendet sich schriftlich "nur" gegen § 32 (6) Body-Cam]


Mattias Fischer, Hess. Hochschule für Polizei und Verwaltung

https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/Stellungnahme-NPOG-Fischer-20S.pdf

[Wendet sich schriftlich "nur" gegen § 32 (6) Body-Cam]


Cornelius Held, Uni Würzburg


https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/Stellungnahme-NPOG-Held-10S.pdf

I. Stellungnahme zu Drucksache 18/850

1. Zusammenfassung

Die Neufassung des § 32 provozierl Kritik. Diese ist teils redaktioneller und begrifllicher Natur, weil Begriffe und Formulierungen nicht immer ausreichend aufeinander abge- stimmt sind (Nrn, 2 und 6). Im Übrigen ist die Kritik substantiell: Die Vorschrift trägt nicht hinreichend deutlich dem Umstand Rechnung, dass es sich bei der bloßen Beobachtung, der Aufzeichnung und der Auswertung der Aufzeichnungen um jeweils unterschiedliche Grundrechtseingrifle handelt, deren Voraussetzungen im Einzelnen im Gesetz klar und deutlich geregelt sein müssen (Nr, 3) Die Regelungen zur Aufzeichnung sind noch defizi- tär (Nr. 4), Gänzlich fehlen gesetzliche Grenzen für Eingriffe durch Auswertung der Auf- zeichnungen. Dies zieht erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken nach sich (Nr. 5),

2. Zur Begriffsklärung in Absatz 1

Der vorliegende Entwurf des § 30 bemüht sich um eine klare Definition der maßgeblichen Begriffe und einheitlichen Gebrauch derselben. So wird in Abs. 1 S‘ 1 n.F.2 deutlich, dass Videoüberwachung zwei unterschiedliche Maßnahmen umfasst Einerseits die Beobach- tung mittels Bildübertragung, welche in der Gesetzesbegründung als Echtzeitübertra- gung von Bildern ohne Speicherung erläutert wird (St 54). Andererseits führt die Rege- lung den Begriff der Aufzeichnung ein als Anfertigung von BiId- und Tonaufzeichnungen von Personen.

Die Definition der Beobachtung ist in meinen Augen wenig glücklich geraten, da im Zent- rum der Begriffsklärung die Echtzeitüberfragung steht, Schlüssel zur polizeilichen Rele- vanz ist aber nicht die technische Übertragung, sondern die visuelle Wahrnehmung.

Aus der Einführung dieser beiden Maßnahmen nebeneinander und der Systematik der neuen Sätze 1 und 3 des Absatzes 3 folgt, dass die Beobachtung nicht auch die Auf- zeichnung umfasst und die Aufzeichnung umgekehrt nicht auch die Beobachtung. Würde die Aufzeichnung auch die visuelle Wahrnehmung (Beobachtung) beinhalten, wäre die Aufzählung der beiden Maßnahmen in Abs. 1 S. 1 sinnlos. Auch aus dem Einleitungssatz zu Satz 3 des 3. Absatzes ergibt sich, dass die beiden Maßnahmen voneinander klar zu trennen sind,

3. Die fehlende Differenzierung der Maßnahmen „Aufzeichnung“ und „Auswertung"

Der Begriff der Aufzeichnung wirkt auf mich auch in der beabsichtigten Novellierung nicht ausreichend ausgearbeitet. Aufzeichnung bedeutet zunächst nichts anderes als Speiche- rung oder Fixierung auf einem Datenträger. Dem Begriff lässt sich aber nicht entnehmen, dass er auch die Auswertung, also die nachträgliche visuelle Wahrnehmung des aufge- zeichneten Materials, sprachlich erfassen und damit rechtlich erlauben würde. Das Da- tenschutzrecht differenziert hier grundsätzlich sehr deutlich. etwa zwischen Speicherung und Nutzung.

§ 32 in der entworfenen Fassung enthält Befugnisse zur Aufzeichnung (in Abs. 3), aber an keiner Stelle ist der Umgang mit dieser Vcrratsdatenspeichemng, nichts anderes kann die Aufzeichnung darstellen, geregelt. Die Aufzeichnung sichert Datenmaterial für einen Zweck, der im Zeitpunkt der Erhebung (Aufnahme) noch nicht konkret feststeht, Die Auf. zeichnung wird regelmäßig abstrakt bezwecken, dass Im Nachgang zu einem konkreten Ereignis, das vorhandene Bildmaterial ausgewertet werden kann, etwa um Beweise zu erlangen. Welches Ereignis dies sein wird, steht bei Aufzeichnung naturgemäß noch nicht fest, Der vorliegende Entwurf ist auf den Begriff der Aufzeichnung ausgerichtet, der Schlüssel zur eigentlichen polizeilichen Arbeit ist jedoch die Auswertung, welche wiederum eine visuelle oder auch akustische Wahrnehmung (wie bei der Beobachtung) bedeutet Aufzeichnung (als Vorratsdatenspeicherung) und Auswertung (als anlassbezogene Ana- lyse der gespeicherten Daten) sind nicht nur zwei unterschiedliche Maßnahmen, sondern auch zwei unterschiedliche Grundrechtselngriffe.

4. Die unzureichende Ausgestaltung des Eingriffs „Aufzeichnung“

Die anlasslose Aufzeichnung von Bild— und Tonmaterial stellt eine personenbezogene Vorratsdatenspeicherung dar. Regelungen über den Umgang mit den erhobenen Daten enthalten nur die allgemeinen Vorschriften der 55 38 bis 39a. Diese sind auch in der Fassung des Gesetzesentwurfes notwendigewveise abstrakt gehalten und zu wenig konturiert, um den Besonderheiten und der Qualität des Eingriffs „Aufzeichnung' Rechnung zu i tragen.

Der Gesetzesentwurf regelt nicht, wie lange die nach 5 32 Absatz 3 aufgezeichneten Da- ten gespeichert dürfen werden. Folglich muss sich dies nach dem inhaltlich unveränder- i ten aber neu gegliederten § 393 Abs. 1 richten Auf die Aufzeichnungen übertragen, ver- langt diese Vorschrift diese Daten zu löschen. wenn sie zu einem der in den §§ 38 und 39 genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind. § 38 Abs. 1 S. 1 stellt wiederum auf den Zweck der Erhebung ab. Die Aufzeichnungen wurden ausschließlich vorsorglich angefer- tigt, um sie später bei Bedarf auswerten zu können, dies ist ihr einziger Zweck. Auch wenn die §§ 38 und 39 noch andere Zwecke nennen (insbesondere Behebung einer Be- weisnot, § 39 Abs 1 S, 1 Nr‚ 3), bleibt doch völlig unklar, wie lange die Aufzeichnungen gespeichert werden dürfen, weil die Beurteilung, ob eine fortdauernde Speicherung erfor- derlich ist, nie ohne ein prognostisches Element auskommen kann.

Prononciert zusammengefasst erlaubt auch das novellierte Gesetz eine personenbezo- gene Vorratsdatenspeicherung, deren zeitliche Grenzen weder Polizei noch Bürger dem Gesetz auch nur ansatzweise konkret entnehmen können. Diese Ungewissheit bleibt nicht nur hinter aktuellen detenschutzrechtlichen Standards zurück. sondern ist auch vor dem verfassungsrechtlichen Gebot von Normenbestimmtneit und Normenklarhelt bedenk- lich.

Dass dem Entwurfsverfasser die Problematik durchaus bewusst war, zeigt der neu formu- lierte § 32 Abs, 5. der eindeutig festlegt, wann die mittels einer „Bodycam“ erhobenen Daten wieder zu löschen sind.

Dern hier vorliegenden Entwurf fehlen entsprechende konkrete Regelungen für die Auf- zeichnungen nach § 32 Abst 3A Dies sollte behoben werden.

5. Die fehlende Regelung des Elngriffs „Auswertung"

a)

In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Grundrechtsdogmatik insgesamt ist anerkannt, dass jeder Schritt bei der Datenerhebung und -verarbeitung als gesonderter Eingriff In Betracht kommt Vorliegend ist zwingend nicht nur zwischen Be- obachtung und Aufzeichnung, sondem auch zwischen den Eingriffen „Aufzeichnung“ (Speicherung) und „Auswertung‘ (Echtzeit-Beobachtung oder nachträgliche Bildanalyse) zu unterscheiden. Sämtliche Maßnahmen stellen für sich jeweils eigene Grundrechtseingrlffe dar.

Aus dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes und den rechtsstaatlichen Ge- boten von Normenbestimmtheit und Normenklarheit folgt. dass Voraussetzungen und Grenzen von Eingriffen gesetztlch klar geregelt sein müssen und zwar je detaillierter, um- so gewichtiger der Grundrechtseingriff ist.

b)

Die Umsetzung dieser Vorgaben lässt sich an den Beispielen ‚.Beobachtung“ und „Auf- zeichnung" ablesen, wenn in § 32 Abs, 3 S. 1 und S. 3 klar zwischen beiden Maßnahmen differenziert wird und jede einzelne mit einer eigenen Eingriffsschwelle versehen wird.

c)

Es fehlt indes eine Regelung, unter welchen Voraussetzungen die aufgezeichneten Daten ausgewertet werden dürfen.

§ 32 beschäftigt sich mit der Auswertung der aufgezeichneten Daten nicht, obwohl dles neben der Echtzeit-Beobachtung und der Speicherung (Aufzeichnung) eine weitere ei- genständige Eingrifiskategorie darstellt, § 32 regelt nicht ansatzweise. unter welchen Vo- raussetzungen die Polizei in das Recht auf informetionelle Selbstbestimmung der Men- schen eingreifen darf, welche identifizierbar mittels Videoüberwachung aufgezeichnet wurden.

d)

Da sich Analogien oder extensive Auslegungen von Befugnisnormen für Grundrechtsein- griffe verbieten (etwa der nur interpretierte Schluss von der zulässigen Aufzeichnung auf eine zulässige Auswertung). bliebe als rechtspraktischer Ausweg nur der Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften zur Nutzung von Daten in den §§ 38 und 39.

Diese Vorschriften sind nicht für die Auswertung von Videomaterial konzipiert und erfas- sen die Problematik nicht.

Dies sei nachfolgend am Beispiel des § 38 Abs, 1 St 1, der von der Novelle nicht betrof- fen ist, exemplifiziert:

Nach dieser Vorschrift kann die Polizei rechtmäßig erhobene personenbezogene Daten (Bild- und Tonaufzeichnungen) nutzen, hier also auswerten, wenn dies zu dem Zweck erforderlich Ist, zu welchen sie erhoben worden sind. Der einzige Zweck der Aufzeich- l nung ist die mögliche spätere Auswertung, falls ein Anlass bekannt werden sollte Nach § 38 Abs. 1 S. 1 dürfte die Polizei also die Aufzeichnungen auswerten, wenn sie zur Aus- wertung aufgenommen wurden, Dieser unbeabsichtigte Zirkelschluss zeigt, dass die Normen nicht aufeinander abgestimmt sind.

Da dies ersichtlich nicht eine hinreichend bestimmte Beschreibung der Eingriffsschwelle sein kann, kommen die allgemeinen Vorschriften kaum in Betracht, um als gesetzliche Rechtfertigungsgrundlage des zusätzlichen Eingriffs „Auswertung“ zu fungieren.

e)

Auch hier kann darauf hingewiesen werden. dass der Entwurfsverfasser die Problematik an sich an anderer Stelle erkannt, aber nur unzureichend umgesetzt hat. § 32 Abs. 6 zeigt die notwendige Differenziemng zwischen Erfassung der Daten und deren Auswertung So wird geregelt, unter welchen Voraussetzungen Kreftfahrzeugkennzeichen mit technischen Mitteln erfasst werden dürfen (Satz 1) und wie die Auswertung zu geschehen hat (Satz 3). Die Regelungen zum automatisierten Abgleich von Kraftfahrzeugkennzeichen sind - wohl vor dem Hintergrund eines hierzu ergangenen Urteils des Bundesverfassungsgerichts — detailliert geregelt und zeigen den notwendigen sensiblen Umgang mit dem personenbe- zogenen Datum. weiches sich aus der Erhebung ergeben kann, nämlich zu weichem Zeitpunkt sich welches Auto an welchem Ort befunden hat.

Demgegenüber erlaubt Absatz 3 der Vorschrift, eine Vorratsdatenspeicherung darüber, welcher Mensch sich zu welchem Zeitpunkt an einem bestimmten Ort wie und In Bezug zu anderen Menschen verhalten hat. Diese Vorratsdatenspeicherung erfolgt völlig unab- hängig devon. ob aufgezeichnete Menschen einen Anlass für ihre Aufzeichnung gegeben haben oder nicht.

Diese Zuspitzung soll nicht die Maßnahme als solche desavouieren; sie kann sinn- und zweckvoll sowie im Einzelfall angemessen sein. Mein Anliegen ist zu verdeutlichen, dass es sich um einen (kumulierten) schwerwiegenden Grundrechtseingriff handeln kann und dass dieser zwar erst durch die Aufzeichnung ermöglicht wird, sich aber in voller Härte erst durch die Auswertung entfaltet

Zur Aufzeichnung finden sich die rechtsstaatlich geforderten Eingriffsschwellen in § 32 Abs 3 S. 3‘ Zur Auswertung. dem schwerwiegenderen Eingriff, finden sich keinenei Regelungen,

f)

Mir erscheint es doch fraglich, ob auf Gmndlage des novellierten niedersächsischen Poli- zeigesetzes die Auswertung der aufgezeichneten Bild- und Tondeten verfassungsgemäß wäre.

Das Gesetz sollte insbesondere benennen, wie lange die Aufzeichnungen gespeichert blelben (wie für ‚Bodycams" in § 32 Abs. 5 geregelt), unter welchen Voraussetzungen sie ausgewertet werden dürfen und welche organisatorischen sowie verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Auswertung einen effektiven Grundrechtsschutz gewährleisten,

Die Anforderungen an den Grundrechtsschutz bei der Auswertung von Daten haben für Kraftfahrzeugkennzelchen in Absatz 6 Eingang gefundene Absatz 3 S, 3 zielt mit der Auswertung gespeicherter Bild- und Tondaten auf noch sensiblere Grundrechtselngriffe ab, ohne dies zu regeln oder im „Allgemeinen Teil" (§§ 38-392) auf ausreichend bestimm- te und normenklere Regelungen zurückgreifen zu können, § 31b verbietet zwar nicht zu rechtfertigende Grundrechtseingriffe; die Vorschrift regelt indes nicht das Procedere für verhältnismäßige Grundrechtseingriffe.

Nur der Vollständigkeit halber weise ich darauf hin. dass auch die Gesetzesbegründung keine Auseinandersetzung mit dieser Problematik erkennen lässt. t

Meine Kritik lässt sich ohne weiteres auf § 32 Abs 1 S, 1 erstrecken, der ebenfalls eine Aufzeichnung erlaubt. aber nicht regelt, wann von dieser auch Gebrauch gemacht werden darf,

6. Inkohärentes Verhältnis der Eingriffsschwellen In § 32 Abs. 3

Die Eingriffsschwellen insbesondere der Sätze 1 Nr‘ 1 und 3 Nr, 1 sind nicht kohärent aufeinander abgesllmmt und in melnen Augen redaktionell wenig geglückt,

Satz 1 Nrt 1 erfaubt dle Beobachtung, wenn dort bereits wiederholt Straftaten oder nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten begangen worden sind, Diese Formulierung schafft also keine rein antizipafiv orientierte Eingriffsschwelle, sondern setzt voraus, dass ein öffentlich zugänglicher Raum sich in der Vergangenheit bereits empirisch als krimino- gen erwiesen hat. Auch eine fungierte Prognose von Straftaten oder bestimmten Ord- nungswidrigkeiten würde nicht ausreichen.

Salz 3. Nr. 1 erlaubt hingegen die Aufzeichnung, wenn Tatsachen die Annahme recht- fertigen, dass künftig Straftaten begangen werden‘ Für diese Eingriffsschwelle Ist also nicht erforderlich, dass es bereits zu Straftaten erstmals oder wiederholt kam. Es würde vielmehr ausreichen, wenn Indizien auf ein soIChes Risiko hindeuten. Eine fundierte Prognose Ist also ebenfalls ausreichend.

Die Formulierung in Satz 1 setzt folglich hinsichtlich der Art der Gefahr („Straftaten oder nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten") eine geringere Voraussetzung als Satz 3, der den Eingriff nur zulässt, um Straftaten zu verhindern oder zumindest aufzuzeichnen. Ge— nau umgekehrt verhält es sich hinsichtlich der Erlaubnis, mit Prognosen zu arbeiten. Beo- bachtet werden darf nicht aufgrund prognostischer Grundlage, sondern erst, wenn es be- reits zu Straftaten oder bestimmten Ordnungswidrigkelten gekommen ist. Aufgezeichnet werden darf hingegen auch auf prognostischer Grundlage. die sich allerdings nur noch auf Straflaten, nicht mehr auf Ordnungswidrigkeiten beziehen darf.

Ob diese Unterscheidungen beabsichtigt sind, erschließt sich nicht. Dagegen spricht deutlich der Anfang des Satzes 3, wonach „die nach Satz 1 übertragenen Bilder” aufge- zeichnet werden dürfen. Dies bedeutet, dass eine Aufzeichnung voraussetzt, dass die Bilder auch nur in Echtzeit übertragen werden dürften und verknüpft somit dle beiden Elngriffsschwelleni Da die Beobachtung nach Satz 1 nicht nur auf Prognosen gestüüt werden darf und Satz 3 an die rechtmäßige Erhebung nach S. 1 anknüpft, läuft der wohl nicht beabsichtigte prognostische Spielraum in Satz 3 vollkommen leer,

Die Abstimmung der Eingriffsgrundlagen kann wohl nur als redaktionell missglückt ange- sehen werden. Problematisch ist insbesondere, dass weder Polizei noch Bürger sich dar- über im Klaren sein können, ob die Polizei nun auf prognostischer Grundlage aufzeichnen darf oder nicht, wenn „nur‘ Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass künftig Straftaten begangen werden aber eben noch nicht wurden. Nimmt man die Einleitung zu Satz 3 ernst, ist dies wegen der Anknüpfung an Satz 1 zu verneinen. Hält man sich an den Wortlaut von Satz 3 Nr. 1, ist dies „eigentlich‘ erlaubt.

Stellungnahme zu Drucksache 18/828

Die vorgelegte Entschließung fordert unter Nr. 14

  • „keine Ausweitung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum":

Mir ist nicht ersichtlich, dass dles auf Grundlage des vorliegenden Entwurfes droht. lm Gegenteil werden die Voraussetzungen in § 32 Abs. 3 S. 1 deutlich verschärft.

  • "Keine generelle Erhebung von Daten oder Erstellung von Bewegungsprofilen mit stationären Videokameras":

Ich entnehme dem vorliegenden Entwurf nicht, dass die Erstellung von Bewegungsprofilen vorgesehen, beabsichtigt oder ertaubt wäre.

  • „[keine] biometrische Gesichtserkennung durch die Anwendung intelligenter Videoüberwachung

Weder sieht der vorliegende Entwurf vor, dass biometrische Erkennungsmethoden zum Einsatz gelangen sollen, noch, dass Bildmaterial mittels Algorithmen ausgewertet werden soll. Die einzige Anwendung stellt die automatisierte Erkennung von Krafllahrzeugkennzeichen dar, die allerdings grundrechtssensibel ausgestaltet ist.

[Hinweis: Text via OCR erstellt bzw. aus dem ai-PDF befreit und enthält eine Reihe von Übertragungsfehlern. Bei Unklarheiten bitte direkt im oben verlinkten PDF-Dokument im "Original" nachlesen.]


KFN


https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/Stellungnahme-NPOG-KFN-22S.pdf

[Wendet sich schriftlich "nur" gegen § 32 (6) Body-Cam. Siehe aber auch dessen mündlichen Ausführungen dazu! ###]


LfD Niedersachsen


https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/Stellungnahme-NPOG-LfD-40S.pdf

12. Zu Nr. 20 a), § 32 Abs. 1 Satz 1

Die gesetzliche Klarstellung der Differenzierung zwischen Bildübertragungen und Bildaufzeichnungen wird begrüßt. Der mit einer Videoüberwachung verbundene Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen verlangt nach einer bereichsspezifischen und präzise formulierten Rechtsgrundlage, so dass für die Polizei deutlich wird, in welcher Form und zu welchem Zweck personenbezogene Daten erhoben werden dürfen.

Eine Beobachtung mittels Bildübertragung in Form des sog. Monitoring-Verfahrens ist eindeutig dem Zweck der Gefahrenabwehr zuzuordnen, denn die Erhebung der Bilddaten in Echtzeit dient dem Erkennen von Gefahrensituationen, auf die unmittelbar reagiert werden kann, um einen Schadenseintritt zu vermeiden. Bildaufzeichnungen dienen nicht nur der Abwehr einer Gefahr oder Verhütung einer Straftat. Mit ihnen kann strafbares Verhalten dokumentiert werden, um Täter zu identifizieren und Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten. Die aufgezeichneten Bilder können in einem späteren Strafverfahren als Beweismittel verwendet werden. Daher leistet die Datenerhebung mittels einer Bildaufzeichnung einen Beitrag zur Strafverfolgung. Die Neuformulierung des § 32 Abs. 1 berücksichtigt diese unterschiedlichen Zwecke bei der Datenerhebung nunmehr ausdrücklich. Dies schafft Rechtsklarheit bei der Frage, zu welchem Zweck die Daten verarbeitet werden.

13. Zu Nr. 20 b), § 32 Abs. 2

Mit der vorgeschlagenen Änderung soll eine verdeckte Anfertigung von Aufzeichnungen nur noch zulässig sein, wenn es um die Verhütung von Straftaten geht. Das Instrument der verdeckten Videoüberwachung bleibt damit erhalten und wird nicht in Frage gestellt. Dies ist aus folgenden Gründen nicht akzeptabel.

Eine verdeckte Videoüberwachung greift in besonders starkem Maße in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Es ist daher besonders sorgfältig zu prüfen, inwieweit eine derartige Maßnahme zum Zweck der Gefahrenabwehr erforderlich ist. Werden lediglich Bildaufzeichnungen vorgenommen - also gerade keine Bildübertragungen - so ist nicht erkennbar, wie akute Gefahrenlagen mit Hilfe der Videoüberwachung beseitigt werden können. Auch fehlt der Videoüberwachung nach dieser Vorschrift der einer offenen Maßnahme innewohnende Abschreckungseffekt, mit dem sich allenfalls eine Präventivmaßnahme begründen ließe. Vielmehr dient § 32 Abs. 2 ausschließlich dem Zweck, durch nachträgliche Auswertung des Bildmaterials Strafverfahren einleiten zu können. Dies aber ist verfassungswidrig, denn für eine Regelung zu Bildaufzeichnungen, die in keinem denkbaren Fall auch zum Zweck der Gefahrenabwehr genutzt werden können, fehlt dem Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz. [Vgl. Roggan NVwZ 2001, 134 (139).] Die Vorschrift des § 32 Abs. 2 ist daher ersatzlos zu streichen, zumal nach Kenntnis der LfD die verdeckte Videoüberwachung in der Polizeipraxis auch keine Rolle spielt. Die Regelung läuft daher ins Leere. Nur in Rheinland-Pfalz existiert derzeit noch eine vergleichbare Regelung, [§ 27 Abs. 2 POG RP.] in Berlin hat der Gesetzgeber eine verdeckt durchgeführte Videoüberwachung ausdrücklich untersagt. [§ 24 Abs. 1 S. 3 ASOG BE.]

Die betroffenen Personen einer verdeckt durchgeführten Videoüberwachung mittels Anfertigung von Aufzeichnungen werden in der Regel nichts von dieser Maßnahme erfahren. Damit sind die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine Datenerhebung nach § 32 Abs. 2 verkürzt. Insofern ist die Eingriffsmaßnahme vergleichbar mit den in § 37 a aufgeführten Maßnahmen, die einer besonderen parlamentarischen Rechtmäßigkeitskontrolle unterliegen. Auch fehlt eine Regelung zur Anordnungsbefugnis (kein Behördenleiter- bzw. Richtervorbehalt). Die bisherige Regelung des § 32 Abs. 2 ist daher auch aus diesen Gründen verfassungswidrig.

Daher müssen zumindest weitere, die Maßnahme flankierende Regelungen getroffen werden, die erst zur Verhältnismäßigkeit einer verdeckten Videoüberwachung führen. So ist die parlamentarische Kontrolle durch den sog. § 37 a - Ausschuss notwendig. Aufzunehmen sind alle verdeckt durchgeführten Eingriffsmaßnahmen, um mangelnde Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Personen durch eine parlamentarische Kontrolle zu kompensieren. Dies betrifft neben der Rasterfahndung nach § 45a [Zukünftig soll die Rasterfahndung Gegenstand des § 37a-Berichts sein, vgl. hierzu Nr. 30 a) (§37a) des Gesetzentwurfs.] auch die verdeckte Anfertigung von Aufzeichnungen nach § 32 Abs. 2, die in § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ausdrücklich als „verdeckte Datenerhebung“ genannt wird.

Aus Sicht des Datenschutzes wäre es jedoch vorzugswürdiger, § 32 Abs. 2 ersatzlos zu streichen.

14. Zu Nr. 20 c), § 32 Abs. 3

Die Neuregelung der offenen Videoüberwachung zur Gefahrenabwehr ist mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit und Normenklarheit einer in Grundrechte eingreifenden Rechtsnorm überfällig. Die derzeit geltende Rechtslage ist verfassungsrechtlich bedenklich. § 32 Abs. 3 Satz 1 ist zu weitgehend und zu unbestimmt formuliert, [VG Hannover NVwZ-RR 2011, 943 (945).] weil eine Videoüberwachung nach derzeitigem Recht durchgeführt werden kann, wenn diese zur Erfüllung von Aufgaben nach § 1 Abs. 1 erforderlich ist. Insofern ist der Regelungsansatz zu begrüßen, dass die Eingriffsvoraussetzungen im Gesetzentwurf nunmehr klarer und damit einschränkender definiert werden.

Alle Formen der Videoüberwachung durch Bildübertragung oder Bildaufzeichnung, greifen erheblich in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen ein. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum diese Maßnahme auch in Fällen von Ordnungswidrigkeiten Anwendung finden soll (§ 32 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2). Vielmehr sollte die Videoüberwachung als Mittel der Gefahrenabwehr aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur zur Verhütung von Straftaten zulässig sein. [Vgl. z. B. § 21 Abs. 2 u. Abs. 3 PolG BW; § 15 a Abs. 1 PolG NW; § 24 Abs. 1 ASOG BE.]

Nach Absatz 3 Nr. 3 soll zukünftig eine offene Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume in Form der Bildübertragung an besonders gefährdeten Objekten zulässig sein, wenn dies zur Erfüllung von Aufgaben nach § 1 Abs. 1 erforderlich ist. Es ist fraglich, ob die Verweisung auf § 1 Abs. 1 verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, um den Umfang und den Zweck der Videoüberwachung bestimmt genug zu regeln. Ausweislich der Gesetzesbegründung besteht der Zweck der Videoüberwachung in den Fällen des Absatzes 3 Nr. 3 darin, Versorgungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, Amtsgebäude und ähnliche Objekte vor Anschlägen zu schützen. Es geht also auch hier um die Verhütung von Straftaten. Somit sollte dieser Zweck auch gesetzlich ausdrücklich normiert werden.

Die Regelung zur Kenntlichmachung in Absatz 3 Satz 2 entspricht den allgemeinen datenschutzrechtlichen Grundanforderungen für eine offen durchgeführte Videoüberwachung. Eine Vorschrift über die Kennzeichnung der offenen Videoüberwachung findet sich mittlerweile in allen Landesgesetzen. Daher ist die vorgeschlagene Gesetzesänderung überfällig. In einigen Ländern muss auch auf die verantwortliche Stelle hingewiesen werden. [Z. B. § 14 Abs. 3 S. 2 Hess.SOG.] Dies ist bürgerfreundlich und sinnvoll, da die Betroffenen sogleich wissen, wer für die Videoüberwachung verantwortlich ist und an wen sie sich bei Fragen wenden können (z. B. die Kommune oder die Polizei in den Fällen des Abs. 3).

Mit der Kennzeichnung wird nicht nur die Offenheit der Videoüberwachung sichergestellt. Gleichzeitig kommt die verantwortliche Stelle damit auch ihren Informationspflichten gegenüber den Betroffenen zum Zeitpunkt der Datenerhebung nach. Diese wurden durch das neue europäische Datenschutzrecht erheblich erweitert - auch bei Datenerhebungen im Anwendungsbereich der sog. JI-Richtlinie. Hier sind zukünftig die Regelungen des § 50 NDSG zu beachten, der als Verweisnorm zur Klarstellung mit in den Gesetzestext aufgenommen werden sollte.

Mit der Änderung im neuen § 32 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 (Streichung der Worte „von erheblicher Bedeutung oder Straftaten nach § 224 StGB“) werden die Möglichkeiten, Bildaufzeichnung zum Zweck der Verhütung von Straftaten anzufertigen, erheblich ausgeweitet. Zukünftig können sowohl Bildübertragungen zum Zweck der Straftatenverhütung vorgenommen und daneben gleichzeitig (oder stattdessen?) auch Bildaufzeichnungen (auch) zur Strafverfolgung angefertigt werden. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus, dass zukünftig auch einfache Straftaten, wie etwa Beleidigungen auf sexueller Grundlage oder aber Diebstahlshandlungen in Form des sog. „Antanzens“ mit Hilfe des aufgezeichneten Bildmaterials verfolgt werden sollen. Im Ergebnis werden damit beide Formen der Videoüberwachung als gleichrangige Maßnahmen für zulässig erklärt. Dies ist mit Blick auf die Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers, der nur Maßnahmen regeln kann, die dem Gefahrenabwehrrecht zuzurechnen sind, als zu weitgehend abzulehnen. Vielmehr ist am Vorrang der Videoüberwachung in Form der Bildübertragung festzuhalten und zwar aus folgenden Gründen:

Im Gefahrenabwehrrecht dient die Videoüberwachung primär dem Zweck, Gefahrensituationen zu bereinigen bzw. Straftaten zu verhüten. Dies setzt voraus, dass die Behörden im Vorfeld der Realisierung der Gefahr bzw. der Begehung der Straftat die Möglichkeit haben einzugreifen. Nur im Fall einer Bildübertragung ist diese Möglichkeit gegeben, denn nur dann kann der Beamte, der die Situation in Echtzeit beobachtet, Hilfe anfordern und somit originär gefahrenabwehrrechtlich tätig werden.

Anders sieht es bei der Videoüberwachung in Form der Bildaufzeichnung aus. Eine offen durchgeführte Bildaufzeichnung hat zwar nach überwiegender Lesart auch einen präventiven und damit gefahrenabwehrrechtlichen Effekt. Würde man dies verneinen, so stünde dem Landesgesetzgeber gar keine Regelungskompetenz zu. Bei der Bildaufzeichnung liegt der Schwerpunkt des Zwecks der Datenverarbeitung jedoch bei der Aufklärung von Vorgängen im Nachgang des Geschehens. Das Bildmaterial soll dazu dienen, die begangenen Straftaten aufzuklären und die Strafverfolgung sicherzustellen. Die Strafverfolgung ist aber der Gefahrenabwehr bzw. Verhütung von Straftaten im Anwendungsbereich des Gefahrenabwehrrechts nachgelagert und damit nachrangig zu regeln. Dies sollte der Gesetzgeber berücksichtigen und den Tatbestand für die Anfertigung von Bildaufzeichnungen daher wesentlich enger formulieren als bei Bildübertragungen.

Mit der Ausweitung der Möglichkeiten zur Anfertigung von Bildaufzeichnungen verschärft sich das bereits vorhandene Problem einer fehlenden bereichsspezifischen Regelung zur Höchstspeicherdauer von Bildmaterial. So erledigt sich bei videoüberwachten Veranstaltungen der zum Zeitpunkt der Datenerhebung ursprünglich verfolgte Zweck, z. B. die Verhinderung von Taschendiebstählen, spätestens mit dem Ende der Veranstaltung. Bildaufzeichnungen müssen unverzüglich nach dem Ende der Veranstaltung ausgewertet und gelöscht werden, wenn keine strafbaren Handlungen auf der Veranstaltung begangen wurden bzw. auf dem Bildmaterial erkennbar sind. Gleiches gilt für Bildaufzeichnungen, die an kriminalitätsbelasteten öffentlich zugänglichen Räumen angefertigt wurden. Auch diese sind ohne Zeitverzug in regelmäßigen Abständen auszuwerten und zu löschen, wenn sich keine Straftaten feststellen lassen.

Für eine zeitlich unbegrenzte Speicherung der Daten besteht keine Erforderlichkeit. Ohne gesetzliche Löschfristen, die eine unverzügliche Auswertung sicherstellen, bestünde die Gefahr einer Vorratsdatenspeicherung von Videomaterial bei der Polizei bzw. den Gefahrenabwehrbehörden. Daher gibt es in nahezu allen Ländern Regelungen über Höchstspeicherfristen. [Vgl. z. B. PAG BY, Art. 31 Abs. 4 (drei Wochen) ; § 31 Abs. 5 PolG BW (vier Wochen) ; § 24 Abs. Abs. 2 ASOG BE ; § 31 Abs. 1 BbgPolG; § 29 Abs. 4 BremPolG; § 14 Abs. 2 S. 2 Hess.SOG (unverzüglich); § 15a Abs 2 PolG NW (14 Tage).] Nach Ablauf dieser Fristen dürfen die Bildaufzeichnungen nur noch zu bestimmten Zwecken verwendet werden (u. a. Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung oder zur Geltendmachung öffentlich-rechtlicher Ansprüche).

Ich rege daher an, in § 32 Abs. 3 bereichsspezifische Löschfristen aufzunehmen, die vorsehen, dass Bildaufzeichnungen regelmäßig zeitnah nach der Datenerhebung zu löschen bzw. zu vernichten sind. Klare gesetzliche Löschfristen tragen auch dazu bei, dass die Behörden Aufzeichnungen landesweit nach einheitlichen Maßstäben speichern und löschen. Der Rückgriff auf die allgemeine Löschungsvorschrift des § 39 a hilft hier nicht weiter, weil dort keine Fristen genannt sind.

Mit Urteil vom 09.06.2016 stellte das Verwaltungsgericht Hannover fest, dass die Polizeidirektion Hannover von insgesamt 78 betriebenen Kameras 56 abzuschalten hat. [Pressemitteilung des VG Hannover vom 09.06.2016; VG Hannover ZD 2016, 502.] Von diesen 56 Kameras wurden 11 auf der Rechtsgrundlage des § 32 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG betrieben. Die Polizeidirektion konnte hier nicht den Nachweis führen, dass die Kameras an Orten aufgestellt sind, an denen künftig Straftaten begangen werden. Es lagen keine oder nur unzureichende Statistiken über begangene Straftaten vor. Auch war im Einzelnen aus den Akten nicht mehr nachvollziehbar, aus welchen Gründen eine Kamera installiert wurde.

Für die Frage der Rechtmäßigkeit einer Videoüberwachung an sog. Kriminalitätsschwerpunkten (§ 32 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1) ist jedoch eine entsprechende Faktenlage zwingend notwendig - sowohl zum Zeitpunkt der Installation der Kamera als auch fortlaufend während der Durchführung der Maßnahme. Zum einen ist nach dem Wortlaut des Gesetzentwurfs der Nachweis zu führen, dass es sich bei dem beobachteten Ort um einen solchen handelt, an dem wiederholt Straftaten oder nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten begangen wurden. Nur dann kommt eine Videoüberwachung überhaupt in Betracht. Zum anderen ist zusätzlich eine Prognoseentscheidung nötig, dass an diesem Ort auch künftig Straftaten oder nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten begangen werden. Diese Prognoseentscheidung ist fortlaufend zu überprüfen und zu hinterfragen. Geht das Straftatenaufkommen signifikant zurück, wäre eine Videoüberwachung nicht mehr erforderlich und damit rechtswidrig.

Aus den im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnissen wird daher angeregt, dass der Gesetzgeber in § 32 für die Fälle der Videoüberwachung von Orten mit hoher Kriminalitätsbelastung eine Regelung aufnimmt, die der anordnenden Behörde die Dokumentation der Maßnahme vorschreibt. [vgl. z. B. § 15a Abs. 4 S. 1 PolG NW.] Auch eine zeitliche Befristung der Videoüberwachung [§ 15a Abs. 4 S. 2-4 PolG NW.] ist in diesen Fällen sinnvoll. Rechtzeitig vor Ablauf der Maßnahme hätte dann die anordnende Behörde zu prüfen und gerichtsfest nachzuweisen, dass die Voraussetzungen nach § 32 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 immer noch vorliegen.

Die Gesetzesänderungen in § 32 Absatz 3 werden dazu führen, dass die Videoüberwachung öffentlicher Räume vor dem Hintergrund der angespannten Sicherheitslage erheblich ausgeweitet wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Maßnahme einer Videoüberwachung tief in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger eingreift. Betroffen ist eine Vielzahl von Personen, die sich rechtstreu verhalten, in deren Grundrechte der Staat aber dennoch eingreift. Die Streubreite einer Datenerhebung mittels Bildübertragung oder Bildaufzeichnung ist damit erheblich. Umso dringender stellt sich die Frage der Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs. Objektiver Maßstab kann hier die Anzahl der an dem Ort begangenen Straftaten sowie deren Qualität sein. Auch das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung wird immer wieder als Argument angeführt. Wissenschaftliche Untersuchungen zur Effektivität der Videoüberwachung sind zum Teil widersprüchlich. Die Ergebnisse sind offenbar abhängig vom jeweiligen Vorverständnis des Auftraggebers. [Petri, Lisken/Denninger, G Rn. 202.] Eine kürzlich veröffentlichte Evaluationsstudie zur polizeilichen Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen kommt ebenfalls zu keinem eindeutigen Ergebnis, ob und in welchem Umfang eine Videoüberwachung einen wirksamen Beitrag zur öffentlichen Sicherheit leistet. [Forschungsbericht Nr. 143 des KFN, Ergebnisse der Evaluation der polizeilichen Videobeobachtung in Nordrhein-Westfalen gemäß § 15 a PolG NRW.]

Der Gesetzgeber hat diese diffuse Erkenntnislage bei der Gesetzgebung zu berücksichtigen. Da es um den Schutz von Grundrechten geht, muss er sich Klarheit darüber verschaffen, ob der mit der Videoüberwachung angestrebte Zweck auch tatsächlich erreicht wird. Es wird daher angeregt, eine Evaluierungsklausel für § 32 Abs. 3 vorzusehen [Vgl. § 15a Abs. 5 PolG NW; § 70 ASOG BE.] und damit Art. 5 des Gesetzentwurfs entsprechend zu erweitern.

15. Zu Nr. 20 d), § 32 Abs. 4 Satz 2

Mit § 32 Abs. 4 Satz 2 soll eine neue Regelung zur Anfertigung von Bild- und Tonaufzeichnungen durch die Polizei geschaffen werden. Die Kameras (sog. „Bodycams“) befinden sich hierbei am Körper des Polizeibeamten. Der Einsatz von Bodycams greift in erheblichem Umfang in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein.

Betroffen sind nicht nur Personen, die in unmittelbarem Kontakt mit dem kameraführenden Polizeibeamten stehen, sondern auch Dritte, die sich zufällig im Aufnahmebereich der Kamera befinden. Bei den mobil geführten Körperkameras kommt im Vergleich zu fest installierten Videoanlagen hinzu, dass der Aufnahmebereich der Kamera deutlich flexibler und eher zufällig ist. Für die Betroffenen ist nicht erkennbar, welchen Raum die Kamera tatsächlich erfasst. Daher ist es aus Sicht des Datenschutzes grundsätzlich zu begrüßen, dass mit § 32 Abs. 4 Satz 2 eine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage für den Einsatz dieser neuen Technologie geschaffen wird.

Körperkameras dürfen von der Polizei nach dem vorgeschlagenen Wortlaut bei der Durchführung von Maßnahmen der Gefahrenabwehr in öffentlich zugänglichen Räumen eingesetzt werden. Erfasst werden daher ausnahmslos alle polizeilichen Maßnahmen, die nach dem Gefahrenabwehrrecht auf der Grundlage des zukünftigen NPOG bzw. anderer Rechtsvorschriften zulässig sind. So sind z. B. auch Bild- und Tonaufzeichnungen im Rahmen einer Befragung nach § 12 grundsätzlich möglich. Schutzziel der Norm ist es jedoch, gewalttätige Übergriffe insbesondere auf Polizeibeamte zu verhindern. Dann sollte aber auch der Tatbestand einengender gefasst und ausschließlich auf Maßnahmen bezogen werden, die typischerweise zu Konfliktsituationen führen können. [So z. B. § 29 Abs. 5 PolG HB bezogen auf Anhalte- und Kontrollmaßnahmen im öffentlichen Verkehrsraum.]

Eine Datenerhebung mittels Körperkamera darf nach dem Wortlaut der Norm nur stattfinden, wenn dies nach den Umständen zum Schutz von Polizeibeamten oder Polizeibeamtinnen oder Dritten gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist. Nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 1 ist eine Gefahr eine konkrete Gefahr, das heißt eine Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird. Damit ist die Eingriffsschwelle gesetzlich klar definiert, es muss eine konkrete Gefahrensituation vorliegen. Die Ausführungen zur Vorverlagerung des Einschaltzeitpunkts in der Gesetzesbegründung, wonach eine Situation ausreichend sein soll, „die aufgrund von polizeilichem Erfahrungswissen die Gefahr einer gewalttätigen Eskalation in sich birgt“, finden keinen Anknüpfungspunkt im Gesetzeswortlaut.

Neben Bild- sollen auch Tonaufzeichnungen nach § 32 Abs. 4 Satz 2 angefertigt werden dürfen, wenn dies nach Umständen zum Schutz von Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamten oder von Dritten gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist. Wie bei der Videoüberwachung wird auch bei Köperkameras angenommen, dass der Einsatz dieser Technik die Betroffenen davon abhält, Straftaten zu begehen (präventive Wirkung). Tonaufnahmen stellen einen zusätzlichen Grundrechtseingriff in das Recht am gesprochenen Wort dar. Ob neben der Bild- auch die Möglichkeit der Tonaufzeichnung einen abschreckenden Effekt gegenüber dem potentiellen Angreifer hat, ist mehr als fraglich. [Kipker/Gärtner NJW 2015, 296 (297).] Lediglich bei Beleidigungsdelikten könnte das Mittel der Tonaufzeichnung präventiv wirken. Diese sind jedoch gerade nicht vom Schutzzweck der Norm umfasst, denn Anlasstaten sind ausschließlich Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte. Ton- neben Bildaufzeichnungen sind damit nicht geeignet und erforderlich, um den mit der Norm verfolgten Zweck zu erreichen. Auch für den weiteren Zweck der Strafverfolgung sind Bildaufnahmen als Beweismittel ausreichend, um die von der Norm erfassten Delikte zu sanktionieren.

Ferner soll der Polizeibeamte die Aufzeichnung bereits dann vornehmen dürfen, wenn einen Situation vorliegt, die nach polizeilicher Erfahrung die Gefahr einer gewalttätigen Eskalation in sich birgt, so jedenfalls die Ausführungen zum Einsatzzeitpunkt in der Gesetzesbegründung. Damit wird dem Polizeibeamten ein großer Handlungsspielraum für den Einsatz der Körperkameras eröffnet, der weit in das Vorfeld einer konkreten Gefahrenlage für Leib oder Leben hinreicht. Stellt sich dann im weiteren Verlauf heraus, dass „nur“ der Vorwurf einer Beleidigung im Raum steht, es aber nicht zu einer Gewalteskalation gekommen ist, wäre bei einer reinen Bildaufzeichnung eine Strafverfolgung nicht möglich, bei einer zusätzlichen Tonaufzeichnung schon.

Die Möglichkeit der Tonaufzeichnung beeinflusst daher bewusst oder unbewusst die Entscheidung des Beamten dahingehend, die Technik auch in Fällen zum Einsatz zu bringen, bei denen es gar nicht um Gewaltsituationen geht. Es besteht die Gefahr, dass vorsorglich zu Beweiszwecken die Kamera und damit auch der Ton eingeschaltet werden, um auf jeden Fall die Beleidigung strafrechtlich ahnden zu können. Mit dem Schutzzweck der Norm, die Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamten vor Gefahren für Leib oder Leben zu schützen, ist dies jedoch nicht zu vereinbaren. Auch aus diesem Gesichtspunkt sollte daher von Tonaufzeichnungen abgesehen werden.

Nach § 32 Abs. 4 Satz 3 ist die Verwendung von Bodycams kenntlich zu machen. Damit soll es sich beim Einsatz von Körperkameras um eine offen durchgeführte Maßnahme handeln, die präventiv wirkt und das Polizeivollzugspersonal so vor körperlichen Angriffen schützt. Daher ist es unverzichtbar, dass die Maßnahme bzw. die Aufzeichnung - wie es der Gesetzentwurf vorsieht - offen durchgeführt wird. Um den präventiven Effekt einer Körperkamera am wirkungsvollsten erzielen zu können, reicht jedoch eine bloße Erkennbarkeit der Maßnahme für den Betroffenen nicht aus (z. B. durch Anlegen einer Warnweste „Videodokumentation“). Es sollte vielmehr die Pflicht der Polizeibeamtin oder des Polizeibeamten normiert werden, vor dem Einschalten der Kamera die direkt betroffene Person über die Art und den Umfang des Einsatzes der Kamera mündlich zu informieren. [Kipker/Gärtner NJW 2015, 296 (299).] Dies trägt insgesamt zur Transparenz der Maßnahme bei. Auch ist zu beachten, dass zum Zeitpunkt der Datenerhebung der Polizeivollzugsbeamte die Pflicht hat, die betroffene Person nach § 50 NDSG über ihre Rechte zu informieren. Neben der Pflicht zur Kenntlichmachung sollte daher in Satz 3 auch auf § 50 NDSG verwiesen werden.

Die Aufzeichnungen mittels Bodycams sind doppelfunktionaler Natur. Einerseits dienen diese präventiven Zwecken durch Abschreckung, andererseits werden mit den Aufzeichnungen auch Beweismittel für spätere Strafverfahren erhoben (repressiver Zweck). Bei streitigen Konfliktsituationen können die Aufzeichnungen beispielsweise auch entlastendes Beweismaterial für denjenigen enthalten, der sich dem Vorwurf einer Straftat zum Nachteil eines Polizeibeamten ausgesetzt sieht. Oder aber es tritt der Fall ein, dass sich die Polizeibeamten ihrer Meinung nach korrekt verhalten haben, gleichwohl werden von der betroffenen Person strafrechtliche Vorwürfe erhoben. Daher muss eine Norm, die den Einsatz von Körperkameras zulässt, auch Regelungen enthalten, wie im Weiteren mit den Aufnahmen umzugehen ist. [BeckOK PolR NRW, Worms/Gusy, § 8 Rn. 66.] Es darf nicht allein den handelnden Polizeibeamten überlassen bleiben, was mit den Aufzeichnungen geschieht und wann diese gelöscht werden.

Ferner sollte eine spezielle Aufbewahrungs- bzw. Löschungsregelung für das aufgezeichnete Datenmaterial im Gesetz verankert werden, die diese Aspekte mit in den Blick nimmt. Ein Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 39 a ist nicht ausreichend, da diese Vorschrift keine Fristen festlegt. Auch führt die Anwendung dieser allgemeinen Löschungsregelung dazu, dass es letztlich die Polizei selbst - im Regelfall sogar der aufzeichnende Beamte - in der Hand hat, wann das Datenmaterial gelöscht wird. Zu denken ist an eine Regelung, die eine Sichtung und Auswertung des Datenmaterials durch Personen vorsieht, die in keiner Weise mit dem aufgezeichneten Geschehen zu tun haben (neutrale Stelle [Kipker/Gärtner NJW 2015, 296 (299); BeckOK PolR NRW, Worms/Gusy, § 8 Rn. 66.)]. Ausdrückliche Regelungen zur Löschung der Aufzeichnungen finden sich in den Gesetzen von Hessen [§ 14 Abs. 6 S. 3 Hess. SOG.] und Hamburg. [§ 8 Abs. 5 S. 3 PolEDVG HH.] In Bremen [§ 29 Abs. 5 S. 4 BremPolG.] gibt es darüber hinaus eine gesetzlich geregelte Aufbewahrungsfrist von zwei Monaten.

Belastbare wissenschaftliche Untersuchungen zum Einsatz von Körperkameras und zur Frage, ob diese tatsächlich eine präventive Wirkung entfalten und damit das Polizeivollzugspersonal wirksam vor körperlichen Übergriffen schützen können, liegen derzeit nicht vor. Die Ergebnisse des Pilotversuchs in Hessen deuten allenfalls auf einen deeskalierenden Trend hin. [Stoklas, ZD-Aktuell 2014, 04388.] Ferner bestehen erhebliche Zweifel an der wissenschaftlichen Methodik und Objektivität des hessischen Pilotversuchs. [Zander, Body-Cams im Polizeieinsatz, S. 52 f.] Auch besteht durchaus die Möglichkeit, dass der Einsatz von Körperkameras gerade nicht deeskalierend wirkt, sondern die Konfliktsituation hierdurch noch angeheizt wird, weil sich der betroffene Bürger aus seiner Sicht permanent dem unbegründeten Vorwurf von Gewaltbereitschaft und Kriminalität ausgesetzt sieht. [Kipker/Gärtner NJW 2015, 296 (297).]

Fundierte Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Maßnahme sind in jedem Fall unerlässlich, denn nur dann lässt sich der mit dem Einsatz von Körperkameras verbundene Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung rechtfertigen. Daher wird angeregt, die Norm des § 32 Abs. 4 Satz 2 zeitlich zu befristen und die Maßnahme mit in die Evaluierungsklausel nach Artikel 5 des Gesetzentwurfs auf zunehmen.

16. Zu Nr. 20 e), § 32 Abs. 5

Mit der neuen Regelung des § 32 Abs. 5 soll eine Rechtsgrundlage für die sog. Pre-Recording-Funktion beim Einsatz von Bodycams geschaffen werden. Schaltet der Polizeibeamte die Kamera an, so wird nicht erst ab diesem Zeitpunkt das Bildmaterial gespeichert, sondern die Bildspeicherung umfasst einen weiteren Zeitraum von 30 Sekunden, der unmittelbar vor dem Einschaltzeitpunkt liegt.

Problemtisch ist hierbei, dass die Betroffenen nach § 32 Abs. 4 Satz 3 über diese Maßnahme erst in Kenntnis gesetzt werden, wenn die Kamera eingeschaltet ist. Die diesem Zeitpunkt vorgelagerte Datenerhebung und –speicherung auf der Grundlage des § 32 Abs. 5 erfolgt ohne Kenntnis der betroffenen Person und somit verdeckt. Ferner werden durch die Pre-Recording-Funktion fortlaufend Daten von Personen erhoben und gespeichert, die polizeilich überhaupt nicht in Erscheinung treten.

Werden Daten bei der betroffenen Person ohne deren Kenntnis erhoben, treffen den Gesetzgeber im Vergleich zu offen durchgeführten Maßnahmen größere Anforderungen hinsichtlich der Formulierung der Bestimmtheit der Eingriffsnorm. Es bleibt aber nach dem Gesetzeswortlaut völlig offen, wann und unter welchen Voraussetzungen die Polizei von der Pre-Recording-Funktion Gebrauch machen darf.

Die Tatsache, dass die Aufnahmezeit nur 30 Sekunden beträgt und die Bildsequenzen fortlaufend überschrieben und damit gelöscht werden, lässt die Qualität der Maßnahme nach § 32 Abs. 5 als Grundrechtseingriff nicht entfallen. Davon geht zutreffend auch die Gesetzesbegründung aus. Nicht geteilt wird allerdings die Einschätzung, dass es sich nur um „flüchtige“ und „oberflächige“ Grundrechtseingriffe handelt. Die 30-Sekunden-Sequenzen können Daten von zahlreichen Personen erfassen, die keine Veranlassung für eine polizeiliche Maßnahme gegeben haben. Die Streubreite der Eingriffsnorm des § 32 Abs. 5 ist daher vergleichsweise groß. Hinzu kommt, dass die Datenerhebung und –speicherung für die betroffenen Personen nicht erkennbar ist im Gegensatz zu einem offenen Einsatz der Bodycam nach § 32 Abs. 4 Satz 2.

Im Ergebnis ist daher die Regelung des § 32 Abs. 5 wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verfassungswidrig.

17. Zu Nr. 20 g), § 32 Abs. 7

Mit § 32 Abs. 7 soll eine Vorschrift für die Bildübertragung zum Zweck der Lenkung und Leitung des Straßenverkehrs ins Gesetz aufgenommen werden. Damit wird eine Forderung der LfD aufgegriffen, denn die Videoüberwachung des Straßenverkehrs zum Zweck der Gefahrenabwehr bedarf einer bereichsspezifischen Rechtsgrundlage. Auch wenn nur Übersichtsaufnahmen angefertigt werden, können nach dem Stand der heutigen Technik durch nachträgliche Auswertung personenbezogene Daten generiert werden (Fahrzeugkennzeichen oder einzelne Personen), so zutreffend die Gesetzesbegründung unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Die Regelung des § 32 Abs. 7 lässt nur die Videoüberwachung des Straßenverkehrs in Form der Bildübertragung vor. Bildaufzeichnungen sind damit ausgeschlossen. Diese Einschränkung wird aus Sicht des Datenschutzes ausdrücklich begrüßt. Gleichwohl wird die Erhebung personenbezogener Daten nur ausnahmsweise zur Zweckerreichung erforderlich sein. Übersichtsaufnahmen dürften in der Regel ausreichen, um den Verkehrsfluss zu steuern. Dieser Vorrang der Übersichtsaufnahme sollte im Gesetzestext verankert werden. Die Verarbeitung personenbezogener Daten sollte nur zulässig sein, um aufgetretene Gefahrenlagen beseitigen zu können, z. B. um bei einem Auffahrunfall erkennen zu können, ob Personen verletzt sind und durch den Rettungsdienst versorgt werden müssen. Nur in diesem Fällen ist es erforderlich, von der Übersichtsaufnahme in die Zoomfunktion zu wechseln.

18. Zu Nr. 20 g), § 32 Abs. 8

Die Neuregelung setzt die Forderung der LfD um, für die sog. Abschnittskontrolle zur Überwachung der Geschwindigkeiten von Kraftfahrzeugen eine ausdrückliche Rechtsgrundlage zu schaffen. Eine eigenständige Befugnisnorm ist jedenfalls für den Fall der Geschwindigkeitsübertretung zwingend erforderlich. Nur für den Fall, dass die Fahrzeugdaten unmittelbar nach der Erfassung (Einfahrt in den Streckenabschnitt, 1. Kamera) technisch spurenlos, anonym und ohne einen Personenbezug herzustellen wieder gelöscht werden (Ausfahrt aus dem Streckenabschnitt, 2. Kamera), hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Kennzeichenlesegerät ausnahmsweise keinen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung angenommen (sog. Nichttrefferfall). [BVerfG NJW 2008, 1505 (1507).] Für den Fall der Geschwindigkeitsübertretung bilden die bei der Ein- und Ausfahrt erhobenen Fahrzeugdaten jedoch die Grundlage für die sich anschließende Maßnahme zur Feststellung des Fahrers. Hierzu wird mittels einer dritten Kamera ein Frontbild des Fahrzeugs gefertigt, auf dem auch der Fahrer zu erkennen ist. Rechtsgrundlage hierfür ist § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO i. V. m. § 46 OWiG. Für derartige Fallkonstellationen liegt zweifellos schon bei der Datenerhebung mittels der 1. Kamera ein Grundrechtseingriff vor. Die Erhebung und Verwendung der Daten bedarf dann einer gesetzlichen Regelung, die jedenfalls den allgemeinen Anforderungen an die Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit von Befugnisnormen entsprechen muss (sog. Trefferfall). [BVerfG NJW 2008, 1505 (1507).]

§ 32 Abs. 8 setzt diese Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um. Es wird eine Regelung für die Speicherung, Veränderung und Nutzung der erhobenen Fahrzeugdaten zum Zwecke der Feststellung der Durchschnittsgeschwindigkeit geschaffen. Damit wird auch der „Nichttrefferfall“ im Gesetz ausdrücklich datenschutzrechtlich geregelt. Dies ist auch erforderlich, denn anders als beim Kennzeichenlesegerät werden die Daten bei der Abschnittsgeschwindigkeitskontrolle doch für einen gewissen Zeitraum - nämlich für die Zeit der Durchfahrt durch die Überwachungsanlage - gespeichert.


Niedersächsischer Anwalt- und Notarverein (NAV)


https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/Stellungnahme-NPOG-NANV-14S.pdf

Zu § 32 Abs. 3:

Die vorgesehene Regelung ermöglicht die flächendeckende Videoüberwachung ganzer Straßenzüge und Plätze. Dies kann schon bei der Vermutung nicht geringfügiger Ordnungswidrigkeiten angeordnet werden kann.

Der Tatbestand ist in dieser Form praktisch uferlos und damit verfassungsrechtlich bedenklich. Denn der Erfolg steht nicht ansatzweise im Verhältnis zu den erforderlichen Eingriffen in Freiheitsrechte. namentlich das Recht auf infonnationelie Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Der Beitrag zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten durch Videoüberwachung öffentlicher Räume ist allenfalls unklar und stark situationsabhängig. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V‚ kommt in einer gemeinsam mit dem Landeskriminalamt NRW erstellten Studie zu dem folgenden Ergebnis:

"Der wissenschaftliche Nachweis eines allgemein kfiminalitätsreduzierenden Effekts der Videoüberwachung konnte bisher allerdings nicht überzeugend geführt werden. Für städtische und zentrumsnahe öffentliche Plätze fallen die Effekte sehr unterschiedlich aus, lediglich für die Eindämmung der Kriminalität in Parkhäusem und auf Parkplätzen sowie des Raubes und Diebstahls im öffentlichen Personennahverkehr erweist sich die lfideoüberwachung nach bisherigen Befunden als wirksam (Welsh & Fam'ngton, 2009). Bezüglich des Nutzens für die polizeiliche Ermittlung und Aufldärung ist die Befundlage uneindeutig."

Auch der hier ermöglichte Einsatz von Bodycams nebst Pre-Recording erweist sich Studien immer wieder als ambivalent und nicht zwingend positiv. Es sei hier nur auf die Ausführungen von Jens Zander, "Body-Cams im Polizeieinsatz". Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt am Main 2016, verwiesen. Hinsichtlich des Pre-Recordings, also der 30-sekündigen Aufzeichnung des gesprochenen Wortes, zeigt die Entwurfsbegründung eine bedenkliche Grundrechtsauffassung, wenn dort zwar festgehalten wird. dass ein Grundrechtseingriff vorliege, dieser aber „flüchtig“, „oberflächlich“ und daher „verfassungsrechtlich unbedenklich“ sei.

Kein Eingriff in Grundrechte ist verfassungsrechtlich unbedenklich, gleichgültig wie flüchtig und oberflächlich er sein mag. Ein Eingriff bedarf der Rechtfertigung und im Bereich der Legislative muss der Gesetzgeber begründen, warum er einen durch Gesetz systematisch erlaubten Eingriff für erforderlich hält.

[Hinweis: Text via OCR erstellt bzw. aus dem ai-PDF befreit und möglicherweise Übertragungsfehler. Bei Unklarheiten bitte direkt im oben verlinkten PDF-Dokument im "Original" nachlesen.]


Vereinigung Niedersächsischer und Bremer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger


https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/Stellungnahme-NPOG-SV-BREMEN-NDS-8S.pdf

§ 32 I

Die Möglichkeiten zur Anordnung einer Audio- und Vieoüberwachung öffentlicher Veranstaltungen erscheinen uns ebenfalls nicht hinreichend bestimmt. Die Anordnungsvoraussetzungen ermöglichen die Überwachung beim Verdacht jeglicher Straftaten sowie für einen Großteil möglicher Ordnungswidrigkeiten, dies erscheint uns ohne Beschränkung unverhältnismäßig. Die Maßnahme sollte der Gefahr von Straftaten von erheblicher Bedeutung nach § 2 Nr. 14 vorbehalten bleiben.


ver.di


https://wiki.freiheitsfoo.de/uploads/Main/Stellungnahme-NPOG-verdi-10S.pdf

Datenerhebung durch den Einsatz technischer Mittel bei öffentlichen Veranstaltungen und im öffentlichen Rauml § 32 Abs.‘e 4 u. 5 .

Die Regelung ermöglicht den Einsatz von sog. Bodycams mit Pre-Recordingfunktion durch die Polizei.

Der Einsatz von Bodycams wird keineswegs so unumstritten positiv bewertet. wie in der Gesetzesbegründung dargestellt. Das gili sowohl für die Frage von Grundrechtseinschränkungen als auch für technische Durchführungsfragen; So hat das Bundesland NRW den Einsatz von Bodycams bei Polizisten im Januar 2018 einstweilen gestoppt.

Vgl. vor allem auch dazu, warum die bisherige gesetzliche Einführung - z.B. durch das PoiG-NRW nicht gelungen ist:

"Bodycam-Einsatz der Polizei jetzt auch in NRW - Zur Kritik des § 15c PolG NRW aus grundrechtlicher Sicht", Arzt/Schuster in DVBL, 2018, S 351 ff.

Der Einsatz von Bodycams sollte erst nach Vorliegender hinreichender und im Ergebnis ausreichend dafür sprechender Erkenntnisse erwogen werden.


Synopse zum § 32: NdsSOG ./. NPOG-E Jan 2018 ./. NPOG-E Mai 2018 ./. NPOG Mai 2019



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Zuletzt geändert am 10.07.2019 08:51 Uhr